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Herr K. und die Ironie der Geschichte

Zufällig geraten Herr K. und sein Begleiter in eine öffentliche Diskussion über Migration. Ihnen wird ganz schwindelig von den Dummheiten, die ihm um die Ohren fliegen.

„Die sollen zu Hause bleiben“, schreit ein junger, gutaussehender Mann und viele nicken.
Mit hasserfüllter Stimme kreischt eine alte, korpulente Frau: „Das sind doch alles Terroristen.“
„Und die wollen nur unser Geld“, ergänzt wütend eine Frau mit Baby auf dem Arm.
“Die zerstören uns“, skandiert eine kleine Gruppe aufgebrachter Männer.
Ein Mann in einem Jogginganzug brüllt: „Die vergewaltigen unsere Frauen.“

Herr K. und sein Begleiter haben genug gehört und verlassen die denkwürdige Veranstaltung. Lange gehen sie schweigend.
„Vielleicht sorgt die Geschichte doch für Gerechtigkeit“, sagt Herr K. nachdenklich.
Der Begleiter schaut ihn verwirrt an: „Ich verstehe nicht.“
„Wie Sie wissen, waren es die Europäer, die seit 500 Jahren mit Waffen in die Welt hinauszogen und sich überall wie Terroristen aufführten. Die Europäer haben getötet, massakriert, vergewaltigt, die Menschen versklavt, die Schätze geraubt und die Gesellschaften zerstört. Dem hatten die überfallenen Länder und Kulturen nichts entgegen zu setzen und kein Gott hat die Menschen vor dieser Flut bewahrt.   Heute kommen die Menschen jener Länder zu uns. Sie suchen ein besseres Leben. Sie kommen ohne Waffen, sie versklaven niemanden, es gibt keine Massenvergewaltigungen, aber wir befürchten genau das, was wir ihren Vorfahren angetan haben. Ist das späte Gerechtigkeit oder doch nur die Ironie der Geschichte?“

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Herr K. und ein Missverständnis

Herr K. besucht eine alte Freundin. Er ist bedrückt und versucht es zu überspielen. Die Freundin kennt ihn aber gut genug und will wissen, was los ist. Also beginnt er zu erzählen.

„Gestern ist mir etwas wirklich Blödes passiert. Ich bin Fahrrad gefahren und fuhr bei Gegenwind die wenig belebte Straße entlang. Auf der rechten Straßenseite kam mir eine schwarze Frau entgegen. Wie Du weißt, schaue ich mir immer gerne Menschen an und wie es sich ergab, schauten wir uns direkt in die Augen. Mir machte der Wind und eine leichte Steigung zu schaffen – ich bin nicht mehr der Jüngste – und ich streckte – während ich der Frau in die Augen schaute – meine Zunge raus, so wie man es macht, um einer Anstrengung Ausdruck zu verleihen. Den Bruchteil einer Sekunde später wurde mir klar, dass die Frau kaum eine andere Chance hatte, als die rausgestreckte Zunge als Beleidigung anzusehen. Augenblicklich wollte ich diesen Fauxpas ‚wieder gut machen‘ und schickte ein Grinsen hinterher, bog im selben Moment ab und war aus ihrem Blickfeld verschwunden. Erst da wurde mir klar, dass das hinterhergeschickte Grinsen, die Sache nur verschlimmbessert hatte. Das Ganze ist mir unendlich peinlich. Was muss diese Frau über mich denken?“

„Ja“, sagt die Freundin, „das ist eine blöde Situation. Wenn die Frau es tatsächlich so aufgefasst hat, wie Du vermutest, dann muss man aber auch festhalten, dass sie in diesem Fall ihrem eigenen Vorurteil aufgesessen ist.“

„Sicher, da hast Du recht, aber vielleicht gibt es für dieses Vorurteil auch gute Gründe“, entgegnet Herr K.

K.s Freundin runzelt die Stirn und meint: „Das mag sein, aber trotzdem sind Vorurteile die Ursache der meisten Missverständnisse.“

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