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Waldstein oder Die Erinnerungen des Herrn K.

Das Waldstein Konzert von Vincent Sebastian Andreas

Zweimal im Leben war Herr K. bei einem Konzertbesuch den Tränen nahe. Das erste Mal bei einer Tanzchoreografie von Sascha Waltz zu ‚Ein Deutsches Requiem‘ und das zweite Mal am vergangenen Sonntag bei ‚Waldstein‘ von Vincent Sebastian Andreas.

Waldstein ist eine grandiose, hochemotionale Symbiose von Literatur und Musik. Es reichte an diesem Abend ein Flügel mit der Pianistin Hansol Cho, der Kammerchor Nikolassee dem Dirigenten und Komponisten Andreas und vorher: unfassbar viel Arbeit.

Vincent Sebastian Andreas Idee war so einfach wie brillant: Goethes „Leiden des jungen Werther“ auf 90 Minuten gekürzt, ohne ein Wort hinzuzufügen und dennoch die ganze Geschichte zu erzählen, wird vom Kammerchor Nikolassee nach seinem Arrangement gesungen und das Ganze wird mit vier Klaviersonaten von Beethoven hinterlegt. Die namensgebende Waldsteinsonate bildet dabei den Höhe- und Schlusspunkt. Verblüffend dabei ist, dass die Musik der vier Sonaten so perfekt auf den Text zu passen scheint, dass man fast annehmen konnte, Beethoven habe sie dafür geschrieben. Das Gesangsarrangement – sehr herausfordernd für jeden Chor – legt sich dabei über Beethoven, wie eine wärmende Daunendecke.

Der Gesamteindruck: Überwältigend.

Herr K. war nicht allein mit seiner Emotionalität. Ein junger Zuhörer brach während des Konzertes in Tränen aus und eine andere Zuhörerin meinte anschließend, dass es sinnvoll gewesen wäre die Nummer der Telefonseelsorge auf das Programmheft zu drucken.

Tatsächlich löste die Musik bei Herrn K. Erinnerungen an die Zeit aus, wo auch er bereit gewesen wäre, für die Liebe zu sterben.

Es scheint aber keine zusammenhängenden Todesfälle mit den drei Konzerten gegeben zu haben und so kann man nur hoffen, dass dieses Werk nicht der Vergessenheit anheim fällt, sondern eine Wiederauferstehung auf großer Bühne erlebt.

Es wäre es wert!

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Peter K. zu: Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral

Das Buch von Michael Tomasello ist eine Erweiterung zu ‚Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens‚. Es handelt sich um eine wissenschaftliche Analyse mit philosophischen Schlussfolgerungen. Man könnte es eine wissenschaftsbasierte Philosophie nennen. Beide Disziplinen umschlingen einander. T.s Überlegungen sind auf empirischen Erkenntnissen aufbauende Spekulationen, die plausibel, logisch und stringent eine der großen Fragen der Philosophie beantworten: Warum haben Menschen eine Moral und worauf zielt sie?

T. geht davon aus, dass die Moral dem Menschen einen evolutionären Vorteil verschafft haben muss, sonst hätte sich die Moral nicht durchgesetzt.

Die Frage ist also genauer: Welchen evolutionären Überlebensvorteil bietet die Moral?

Die Antwort ist so kurz wie einfach: Moral erlaubt dem Menschen die Kooperation und damit auch die Konfliktvermeidung und -regelung in der überlebensnotwendigen Zusammenarbeit mit Artgenossen.

T. unterscheidet zwischen der zweitpersonalen Moral, die Moral zwischen zwei gleichberechtigten (Früh)Menschen und einer »objektiven« Moral, die sich mit dem modernen Menschen entwickelte und mit der Kulturen entstanden.

Die zweitpersonale Moral bildete sich bei der gemeinsamen Jagd von Frühmenschen mit mehr oder wenig zufällig ausgewählten Partnern. Das Ergebnis der Jagd wurde gerecht geteilt, sofern der Partner sich fair verhielt, was dazu führte, dass durch die Selektion von fairen Kooperationspartnern eine immer größere Kooperationsbereitschaft entstand. Der Erfolg dieser Entwicklung führt zu immer stärkerer Arbeitsteilung und damit zu größeren Gruppen, was die Interdependenz der Menschen untereinander verstärkte. Ab einer Gruppengröße von ca. 150 Personen kann die zweitpersonale Moral auftretende Konflikte nicht mehr lösen. Deshalb entstehen Regeln, Institutionen, Hierarchien und Religionen, die sich im Ergebnis  zur »objektiven« Moral einer Kultur entwickelten. »Objektiv« nennt er diese Moral, weil sie für die Menschen, die in der jeweiligen Kultur aufwachsen und leben, als objektiv erscheint. Dies ist – extrem verkürzt – die Zusammenfassung des Buches.

Moralische Dilemmata entstehen dann, wenn Forderungen des Egoismus, der zweitpersonalen Moral und der »objektiven« Moral zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. Dann muss das Individuum  eine Entscheidungen treffen, die aus einer Perspektive moralisch richtig sein kann, aus einer anderen aber moralisch falsch ist.

Die Plausibilität und Stringenz dieses Buches rührt nicht nur daher, dass es sich auf vergleichende Verhaltensforschung von Menschaffen und Kleinkindern bezieht und zwischen beiden fundamentale Unterschiede feststellt, sondern seine Überlegungen erklären auch eine Unmenge von Alltagsphänomenen mit denen wir Heutigen konfrontiert sind. Das beginnt mit der Arbeitsteilung, der daraus resultierenden Komplexität von Gesellschaften und unserer Abhängigkeit voneinander. Es geht weiter über die »objektive« Moral, die jeder Kultur als die ‚natürliche‘ und ‚logische‘ erscheint und zu kulturellen Konflikten führt, es lässt uns die Ursachen für die Skepsis gegenüber Mitgliedern fremden Kulturen begreifen, ja selbst der Kulturkampf um Gendergerechtigkeit lässt sich vor diesem Hintergrund besser einordnen.

Vorsichtigerweise benutzt T. das Wort Gen oder Genetik nur an wenigen Stellen, trotzdem legen seine Ausführungen nahe, dass die evolutionäre Entwicklung sowohl Mechanismen der zweitpersonalen Moral, als auch der »objektiven« (kulturellen) Moral genetisch manifestiert haben müssen. Ohne es direkt zu formulieren, wird aus T.s Ausführungen deutlich, dass der Mensch in seiner Psyche und seiner Moral viel stärker evolutionären Mechanismen unterworfen ist, als die meisten Menschen das wahrhaben wollen.

Aus einer übergeordneten Perspektive gibt es zwei Dinge, die bei der Lektüre irritieren. Dabei handelt es sich nicht um inhaltliche, sondern um formale Aspekte.

Erstens ist die Sprache des Herrn T. ausgesprochen verschwurbelt. Es liegt wohl nicht an der Übersetzung, denn es scheint auch in der englischsprachigen Welt ein verbreiteter Kritikpunkt zu sein.

Zweitens kann Herr T. der Versuchung nicht widerstehen für das Thema, ein Art ,geschlossenes Weltbild‘ zu entwickeln. Es gibt – auf den ersten Blick – keine Widersprüche, alles erklärt sich logisch und inhärent innerhalb dieses – wohlgemerkt – auf empirischen Untersuchungen begründeten Systems. Das kennt man nur in der Philosophie – und bei Verschwörungstheorien.

Trotzdem, dieses Buch bietet eine Fülle an Anregungen, die aktuelle Konflikte und Probleme, sowohl auf politischer, als auch auf persönlicher Ebene besser verstehen lässt und ist – bei aller Komplexität und sprachlicher Herausforderung – unbedingt lesenswert. Wer die Mühe scheut, das ganze Buch zu lesen, findet hier eine ausführliche Zusammenfassung als Download.

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Peter K. über Michael Tomasello: Die Naturgeschichte des menschlichen Denkens

Vorbemerkung

Michael Tomasello hat mit diesem Buch eine Zusammenfassung seines Lebenswerks (Teil 1) vorgelegt. Das Werk ist sehr komplex. Er greift vielfach auf seine Forschungen zurück und belegt seine Thesen damit.

Da Tomasello (auch im Max-Planck Institut) mit Menschenaffen und Kleinkindern geforscht hat, analysiert er im ersten Kapitel seine Sicht auf das Denken von Menschenaffen. Im zweiten Kapitel schließlich beschreibt er den Unterschied, der sich seiner Meinung nach zwischen dem Denker der Menschenaffen und der Frühmenschen aufgetan hat. Dabei greift er neben seinen eigenen Forschungen auf entwicklungspsychologische (Piaget u.a.) und sprachwissenschaftliche Forschungen zurück.

Im dritten Kapitel entwickelt er schließlich seine Schlussfolgerungen zum Übergang zwischen Frühmenschen und modernen Menschen, die argumentativ brillant und absolut plausibel, dennoch zwangsläufig als spekulativ bezeichnet werden müssen. Er selbst ist vorsichtig genug, um immer wieder darauf hinzuweisen, dass es sich um plausible Hypothesen handelt.

Insgesamt habe ich in meinem Leben selten so etwas Schwieriges gelesen. Es ist eine Herausforderung für jeden Leser und ich kann nicht behaupten, dass ich alles verstanden habe. Allerdings adressiert Tomasello seine Arbeit an seine Wissenschaftskollegen, deshalb sind viele Details für das Verständnis seiner Grundgedanken nicht zwingend erforderlich. Letztere versuche ich hier zusammenzufassen.

Seine Hauptthese lautet: „Denken um zu ko-operieren, ist in groben Zügen die Hypothese (…).“ S.186

Die Begründung erfolgt auf dem Fuße:

„ So führten Hermann et al eine umfassende Reihe kognitiver Tests – die sowohl Kompetenzen für den Umgang mit der psychischen als auch solche für den Umgang mit der sozialen Welt erfassten – mit einer großen Zahl der engsten Primatenverwandten des Menschen, Schimpansen und Orang Utans, und mit zweieinhalbjährigen Kindern durch. Wenn der Unterschied zwischen der Kognition von Menschen und der von Menschenaffen auf allgemeiner Intelligenz beruhen würde, dann sollten sich die Kinder bei dieser Untersuchung über alle verschiedenen Aufgaben hinweg gleichmäßig von den Affen unterscheiden. Aber das war nicht der Fall. Das Ergebnis war dass die Kinder und die Menschenaffen sehr ähnliche kognitive Kompetenzen für den Umgang mit der physischen Welt hatten, dass aber die Kinder – die zwar alt genug waren um ein bisschen zu sprechen, aber immer noch Jahre entfernt vom Lesen, Zählen oder Schulbesuch waren – bereits raffiniertere kognitive Fertigkeiten für den Umgang mit der sozialen Welt hatten als beide Menschenaffenarten. Die Hypothese war daher, dass erwachsene Menschen nicht deshalb in fast jeder Hinsicht klüger als andere Menschenaffen sind, weil sie eine Anpassung für höhere allgemeine Intelligenz besitzen, sondern vielmehr, weil sie als Kinder aufwuchsen, die ihre besonderen Fertigkeiten der sozialen Kognition nutzten, um zu kooperieren, zu kommunizieren und sozial vermittelt alle möglichen Arten neuer Dinge von anderen in ihrer Kultur zu lernen, einschließlich des Gebrauchs all Ihrer verschiedenen Artefakte und Symbole.“ S. 187f

Kap. 1: Das Denken der Affen

In diesem Kapitel erklärt Tomasello, dass Affen nicht reine Reiz Reaktionsmaschinen sind, sondern Grundstrukturen des Denkens haben. Dabei definiert er genau, welche Art diese Denkstrukturen haben: Es sind einfache Kausalzusammenhänge, Schlüsse, die sie aus Beobachtungen ziehen. „Dort in dem Baum sind Bananen, die will ich haben, aber dort sehe ich auch einen Jaguar, da bleibe ich lieber weg.“

Es sind Denkstrukturen, die sich im Wesentlichen auf die eigenen Bedürfnisse richten. T. beschreibt die Art dieser Denkstrukturen auf Grundlage der Experimente, die er mit Affen gemacht hat. Die entscheidende Aussage dabei ist: Der Affe handelt fast ausschließlich selbstintentional (T), d.h. dass Affen nur für sich denken, sie sind nicht in der Lage aus der Perspektive eines anderen zu denken. Es geht (von einer Ausnahme abgesehen) ausschließlich um ihre eigenen Bedürfnisse. Affen sehen andere Affen als Konkurrenten, nicht als Kooperationspartner.

Diese Denkstrukturen waren es, die der Frühmensch als Erbe von den Menschenaffen vor ca. zwei Millionen Jahren übernommen hat.

Kap. 2: Das Denken der Frühmenschen

Weil die evolutionären Nischen kleiner wurden (die Ursachen dafür beschreibt T. nicht), brauchte der Frühmensch einen evolutionären Vorteil gegenüber den Menschenaffen, um sich mehr Überlebenschancen zu sichern. Diese fand er in der Zusammenarbeit mit einem Artgenossen. Damit sind wir bei der zentralen These von T. angekommen. Der Scheidepunkt in der evolutionären Entwicklung zwischen Menschenaffen und Menschen ist die Kooperation, die beim Frühmenschen in eine gemeinsame Intentionalität (T) zum Ausdruck kommt.

Die früheste Form der Kooperation zeigt sich in Zeigegesten. Zwar machen auch Menschenaffen Zeigegesten, aber niemals mit dem Ziel der Zusammenarbeit, immer nur für die eigenen (egoistischen) Ziele. Beim Frühmenschen, so T., entwickelten sich Zeigegesten aber dahin, z.B. den Jagdpartner auf etwas (Beute, Gefahr etc.) hinzuweisen.

Die Zeigegesten des Frühmenschen haben einen fundamentalen Unterschied zu den Zeigegesten der Menschenaffen, denn es bedeutet, dass sich der Frühmensch in die Perspektive eines anderen Frühmenschen hineinversetzt: „Er hat vielleicht nicht gesehen, was ich gesehen habe, darum mache ich ihn darauf aufmerksam.“ Diese Art von Zeigegesten treten schon bei Kleinkindern auf, während sie bei Affen nicht zu beobachten sind.

Dies ist ein entscheidender Schritt der Kooperation: Wenn ich versuche mir die Perspektive des anderen vorzustellen, ist gemeinsames Jagen erfolgreicher. Der evolutionäre Vorteil liegt auf der Hand.

Allerdings sind Zeigegesten eine eindimensionale Form der Kommunikation. Komplexe Sachverhalte lassen sich so nicht vermitteln, etwa: „Ich habe in der Höhle eine Schlange gesehen, wir müssen vorsichtig sein.“

Deshalb entsteht die Gestik. Mit einer Zeigegeste auf die Höhle und einer schlängelnden Bewegung mit der Hand lässt sich fast ein Satz bilden, der dem anderen meine Erfahrung mitteilt. Auf diesem Weg kann eine – wahrscheinlich mit Lauten untermalte – Kommunikation zur Zusammenarbeit entstehen, die schon eine einfache syntaktische Struktur hat. Im Mittelpunkt der evolutionären Entwicklung steht die Zusammenarbeit mit einem (oder einigen wenigen) anderen Individuen, um gemeinsam besser überleben zu können.

Kooperation erfordert Kommunikation und Kommunikation erhöht die Erfolgschancen.
Wichtig hierbei: Es handelt sich nicht um feste Gruppen, Stämme oder ähnliches, sondern um lockere Verbünde von Einzelindividuen.

Die Entstehung des modernen Menschen setzt dann vor ca. 200Tausend Jahren ein und hier geht die gemeinsame Intentionalität in die kollektive Intentionalität  über.

Kap. 3: Das Denken des modernen Menschen

Noch einmal zur Erinnerung: Der Mensch hat anders als die Menschenaffen, den Weg der Kooperation eingeschlagen. Dazu hat er einfache kommunikative Strukturen entwickelt, so dass zwischen Individuen eine gemeinsame Intentionalität entstanden ist. Die Frühmenschen konnten spontan gemeinsame Ziele verfolgen. Dabei war es aber hilfreich, den anderen darüber zu informieren, dass ich bessere Informationen habe als er. Wenn der andere vorschlägt zu einem Wasserloch zu gehen, um dort zu jagen, ich aber morgens gesehen habe, dass dieses Wasserloch ausgetrocknet ist, sollten wir nicht dorthin gehen. Dafür ist komplexe Kommunikation erforderlich, die beim modernen Menschen anzutreffen ist.

Der moderne Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er kollektiv gemeinsame Ziele verfolgt.

Dazu ist aber ein gemeinsames Verständnis der Interpretation der Welt erforderlich. T. nennt dieses gemeinsame Verständnis objektive Wirklichkeit. Damit ist aber keinesfalls eine wissenschaftliche Objektivität gemeint, sondern eine Vereinbarung einer Gruppe von Menschen darauf, was sie gemeinsam als objektive Wirklichkeit anerkennen. Dazu bedarf es des Austauschs von Informationen, die begründet werden müssen. Anhaltspunkte für diese These sieht T. auch in der Entwicklung der Sprache bei Kindern. „Weil-Konstruktionen“ sind eine der frühesten Argumentationslinien bei Kindern.

„Eine besondere Diskurssituation ist das kooperative Argumentieren, bei dem wir versuchen, zu einer Gruppenentscheidung über  Handlungen oder Überzeugungen zu gelangen. Wir tun das nicht nur durch Behauptungen die auf die Wahrheit verpflichtet sind, sondern auch dadurch, dass wir diese Behauptungen mit Gründen und Rechtfertigungen abstützen, was bedeutet, dass wir Verbindungen zu Dingen herstellen, in Bezug auf die eine kollektive Übereinstimmung besteht, dass sie wahr und zuverlässig sind. Das Ergebnis dieses Prozesses ist, dass die verschiedenen Konzeptualisierungen und propositionalen gegliederten Gedanken moderner Menschen, insofern sie sprachlich ausgedrückt sind, immer stärker in einem riesigen Netzwerk von Überzeugungen miteinander verknüpft werden, so dass jedes Element in diesem Netz durch seine inferentiellen Beziehungen mit anderen an Bedeutung gewinnt.

Diese wechselseitige Verknüpftheit ist eine Schlüsselkomponente dafür, dass man ein rationales Wesen ist, dass sich in einem ganzen Begriffssystem zurechtfindet, in dem propositional strukturierte Gedankengründe und Rechtfertigung füreinander liefern (das heißt, sie können als Prämissen und Konklusionen füreinander in einer Argumentation benutzt werden).“ S. 175f

Durch die Informationsweitergabe und Argumentation entsteht Syntax und damit entsteht Abstraktion, denn Satzkonstruktionen sind Vehikel deren Inhalte austauschbar sind, aber übergeordnete (abstrakte) Strukturen bilden (Etwa Aufforderungen: Geh dorthin. Iss das. Bleib hier.)

Durch die Differenzierung der Sprache in immer mehr Begriffe, werden plötzlich Schlussfolgerungen möglich, die sich aus der sprachlichen Logik ergeben. Antilopen sind Tiere, aber nicht jedes Tier ist eine Antilope. Wenn also jemand sagt: „Hinter dem Hügel ist eine Antilope“, dann ist klar, dass sich hinter dem Hügel ein Tier befindet. Aber die Aussage „Hinter dem Hügel befindet sich ein Tier“, bedeutet keinesfalls, dass es sich um eine Antilope handelt.

Dies ist der Beginn des logischen Denkens und dieses Denken wird dazu eingesetzt normativ zu wirken. Wer sich nicht an die „objektive Wirklichkeit“ hält, wird als weniger kooperativ angesehen und damit weniger nützlich für das Kollektiv.

Durch Begründungen und Abstraktionen entstehen kollektive Vereinbarungen, also die „objektive Wirklichkeit“ einer Gruppe und weil es sich um einen aufwändigen Prozess handelt, der nicht ständig wiederholt werden kann, wird diese (Interpretation der) Wirklichkeit anschließend den nachfolgenden Generationen unterrichtet. So entsteht Kultur, die sich den unterschiedlichen Lebensräumen anpasst.

„Im Unterschied zu anderen Menschenaffen, die im Allgemeinen alle in der Nähe des Äquators leben, haben sich die modernen Menschen über die ganze Erdkugel ausgebreitet. Das taten sie nicht als Individuen, sondern als Kulturgruppen; in keinem ihrer lokalen Lebensräume konnte ein auf sich allein gestellter moderner Mensch sehr lange überleben.“ S.179

Daran wird die Bedeutung der Gruppe für das Überleben (und damit der Evolution) des Menschen deutlich.

„Ein Effekt dieser großen Welle von Gruppengeist und Konformität bestand in der Selektion von Kulturgruppen, die von einer kumulierten kulturellen Evolution begleitet wurde. Eine Selektion von Kulturgruppen findet statt, wenn Individuen sich ihrer Gruppe in dem Maße anpassen –und sich von anderen Gruppen differenzieren – , dass die Gruppe selbst zu einer Einheit der natürlichen Selektion wird. Auf diese Weise bleiben erfolgreiche kulturelle Anpassungen an lokale Bedingungen erhalten und erfolglose Versuche sterben aus.“ S. 180

Kap. 4: Auseinandersetzungen

Im ersten Teil des Kapitels setzt sich T. kritisch mit anderen Theorien der kognitiven Entwicklung und der sozialen Natur des Menschen auseinander. Dabei widerspricht T. vielen dieser Theorien nicht, findet sie aber unzureichend. Nur selten äußert er sich so klar wie bei der Aussage, dass die Sprache der Ausgangspunkt der Intelligenz des Menschen sei.  „Die Sprache ist der Schlussstein der einzigartig menschlichen Kognition und des Denkens und nicht ihr Fundament.“ S. 190

Im letzten Teil des Kapitels setzt T. sich mit der Ontogenese auch mit Bezug auf die Phylogenese des Menschen auseinander und kommt auf die uralte Frage der Vererbung zu sprechen:

„Nein, Fertigkeiten zur kollektiven Intentionalität sind nicht einfach angeboren oder eine Frage der Reifung; sie sind biologische Anpassungen, die nur durch eine ausgedehnte Ontogenese in einer kollektiv geschaffenen und weitergegebenen kulturellen Umgebung entstehen –wofür mehrere Generationen nötig sind, damit sie in Erscheinung treten können.“ S. 216

Schluss

Natürlich wird T. hier noch einmal grundsätzlicher. Er betont die spekulative, aber dennoch wohlbegründete Theorie, die er hier vertreten hat. Er weist auf fehlende Analysen insbesondere der weiteren evolutionär-kulturellen Entwicklung hin, aber betont, dass der Blick auf die „Natur des Menschen“ (PK) ohne einen Blick auf die Notwendigkeiten einer evolutionäre Entwicklung unvollständig bleiben muss.

„ Uns scheint, dass viele der Verwirrungen über das menschliche Denken, auf die von Philosophen hingewiesen wurde, genau dann entstehen, wenn wir versuchen, es im Abstrakten, außerhalb seiner Funktionen bei der Lösung von Anpassungsproblemen, zu verstehen.“ S.222

Dabei spielt die grundlegend soziale Natur des Menschen die entscheidende Rolle, die die Welt in Form einer Kultur „objektiviert“.

„Unsere eigene Ansicht ist, dass solche objektivierenden Tendenzen nur aus der akteursneutralen, gruppenorientierten Perspektive hervorgehen können, die sich die Dinge aus der Sicht von jedem beliebigen von uns (…) vorstellt, im Kontext einer Welt sozialer und institutioneller Wirklichkeiten, die vor unserer eigenen Existenz liegen und mit einer Autorität sprechen, die größer ist als wir“ S.223

Damit kommt er zum Ende.

Seinen letzten Satz will ich nicht unerwähnt lassen: „ So etwas wie die Hypothese geteilter Intentionalität muss einfach wahr sein.“

Passend dazu ein weiteres hochinteressantes Buch von Joseph Henrich: Die seltsamsten Menschen der Welt – Peter K.

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Zur Nachahmung empfohlen: Wohnung tauschen

Tausende kommen jeden Tag als Touristen nach Paris. Millionen haben über Paris geschrieben. Milliarden Fotos kursieren auf Instagram oder Facebook.
Was soll man noch schreiben?
Gibt es etwas Neues zu berichten?

Nein!

Es sei denn über das Bild des alten Juden, dass an der Wand unserer Wohnung im zweiten Arrondissement hängt. Ein graubärtiger Mann mit Nickelbrille, der – es ist nicht zu erkennen – einen Faden in eine Nadel einzufädeln scheint. Er schaut nach oben, gegen das Licht. Seine Hände hält er direkt vor seine Gesicht, fast wie zum Gebet erhoben. Er ist sehr konzentriert. Pointilistisch wirkt es, aus lauter winzigen Punkten. Ein schönes Bild, dass unsere Wohnungstauschpartnerin gehört und in ihrem Wohnzimmer aufgehängt hat. Für mich ist es das aufregendste Bild in der kleinen Wohnung, wo wir zehn Tage verbringen dürfen. Es ist ein altes Haus, in diesem sehr alten Viertel, dass bereits seit dem 16. Jahrhundert existiert. Vor der Tür tobt das Leben, ein Café rechts, ein Café gegenüber, Dutzende Restaurants, Geschäfte, Supermarché um die Ecke.

In der Zeit unseres Aufenthalts lebt Héléne in unserer Wohnung in Berlin, die sicher doppelt so groß wie die in Paris, aber weiter weg vom turbulenten Leben.

Vor einigen Jahren erzählte mir ein Mann, dass in Paris das Gerücht kursiere, man könne sich in Berlin Wohnungen leisten, wo man Tische mit acht Stühlen aufstellen kann. Wir haben einen Tisch mit zehn Stühlen. Aber die Zeiten haben sich auch in Berlin geändert, noch sind wir aber weit von Pariser Verhältnissen entfernt.

In der kleinen Pariser Wohnung hat Héléne mit ihrem Partner gelebt. Er ist tot. Sie ist Juristin. Irgendwie ist sie mit Rosa Luxemburg verwandt. Ich kenne sie nicht, aber sie ist mir sympathisch. Wenn man das Wohnzimmer einer Unbekannten betritt, dann betritt man das Museum ihres Lebens.

Wir fühlen uns wohl hier. Das Wohnzimmer – eigentlich eine Wohnküche – ist gemütlich. Ein rotes Sofa beherrscht den Raum. Bilder, Bücher, ein Tisch, vier Stühle, eine Dantefigur auf dem Kaminsims. Eine uralte Holzbalkendecke über uns. Oben drüber spielt manchmal jemand Klavier, es klingt schön. Es ist kein Meisterpianist, aber auch keine Dilettantin. Es wiegt einen in den Schlaf. Im Schlaf, wenn man das Ohr auf die Matratze legt, hört man ganz leise das Rattern der Metro, die in der Nähe vorbeifährt. Wenn ich Nachts wach werde, stelle ich mir vor, wie sich dieser hell erleuchtete Wurm mit den Menschen durch den dunklen Untergrund bewegt.

Das Schöne an diesem Aufenthalt ist, dass wir keinen Stress haben. Wir müssen keine Baedeker Sterne abarbeiten. Wir gehen vor die Tür, kaufen Lebensmittel ein, trinken Café, fallen zufällig in eine Ausstellungseröffnung, machen einen Nachmittagsschlaf. Abends kochen wir oder gehen essen. Wie es uns gefällt. Der Louvre ist nicht weit. Das Centré Pompidou noch näher.

Im Louvre erstaunt uns, wie viele Menschen sich vor der Mona Lisa drängeln, aber andere Meisterwerke von Leonardo, Raphael oder Caravaggio kaum eines Blickes würdigen.

Das Leben ist anders hier. Es scheint als lebe man mehr in der Öffentlichkeit, im Café, im Restaurant, im Park, vermutlich auch, weil es hier weniger Wohnungen gibt, wo man einen Tisch mit acht Stühlen aufstellen kann.

auch interessant: Herr K. und das Reisen – Peter K.

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Bemerkungen über den Krieg (9)

Was wir gerade in der Ukraine erleben, ist keine unbekannte Situation. Der Krieg ist statisch geworden. Die Front bewegt sich kaum. Um jeden Quadrtkilometer Boden wird heftig gerungen. Die Russen haben sich verschanzt und die Ukraine rennt verzweifelt dagegen an. Was Menschen an der Front erleben, kann man in den Büchern über den ersten Weltkrieg nachlesen. Jünger hat es in „In Stahlgewittern“ oder Remarque in „Im Westen nichts Neues“ beschrieben.

Ein Grauen!

Je länger dieses Grauen anhält, desto schwerer wird es, nicht nur militärisch, sondern besonders auch psychologisch einen Ausweg zu finden. Es ist ein bekannter psychologischr Mechanismus: Wenn man für eine Sache schon sehr viel geopfert und erlitten hat, dann wächst die Fixierung auf die Sache. So ist es in qualvollen (gewalttätigen) Beziehungen, wo mann/frau nicht gehen kann oder eben im Krieg, wo es immer schwerer wird, einen Ausweg zu finden.

In diesem Krieg gibt es nur drei Möglichkeiten:

Rußland gewinnt den Krieg
Die Ukraine gewinnt den Krieg
Einer von beiden wird vor Erschöpfung aufgeben.

Momentan sieht es so aus, als würde keiner von beiden den Krieg gewinnen können. Die (westlichen) „Wunderwaffen“ bewirken doch nicht was der Name verspricht und auch wenn der Ruf nach noch mehr Waffen gerade wieder lauter wird, muss man annehmen, dass die neuen Waffen, die erhoffte Wende für die Ukraine nicht bringen werden.

Also läuft derzeit alles auf einen Abnutzungskrieg heraus. Wladimir der Schreckliche ist davon überzeugt, dass er dabei den längeren Atem hat und dieses zynische Kalkül ist nicht unwahrscheinlich, denn die Alternative wäre, dass das russische Volk oder das Militär den Aufstand wagt. Zudem ist damit zu rechnen, dass der Westen früher oder später tatsächlich kriegsmüde werden wird.

Auf der Gegenseite hat Herr Selensky bei seinem Volk Hoffnungen geweckt, die sich allem Anschein nach nicht erfüllen lassen. Er kann aber von diesem hohen Ross der Befreiung aller ukrainischen Gebiete nicht mehr herunter, ohne das Gesicht zu verlieren und erhebliche Unruhe im Volk auszulösen.

Der Konflikt steckt also in einer unlösbaren Falle und hierin ähnelt der Situation während des ersten Weltkrieges. Das bedeutet: Das Grauen geht weiter und jede denkbare Alternative wird den Konflikt nicht lösen.

Abgesehen von der unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass Rußland zusammenbricht und sich vollständig aus den besetzten Gebieten zurückzieht und der ebenso unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass die Ukraine alle besetzten Gebiete zurückerobert, wird es also früher oder später darauf hinauslaufen, dass die Ukraine auf Gebiete verzichten muss. Dies wird die inneren Verhältnisse in der Ukraine destabilisieren, Russland aufwerten und einen brandgefährlichen Unruheherd am Rande Europas schaffen.

Schaurige Aussichten.

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Der Untergang Russlands als Self-fulfilling Prophecy

29.5.2023

Wladimir der Schreckliche, wie ich Herrn Putin in Erinnerung an einen von ihm bewunderten Vorgänger zu nennen pflege, ist ein Diktator, dem es, wie allen Diktatoren, in erster Linie um den Erhalt seiner Macht geht.

Um sich an der Macht zu halten, muss er sich aus der Werkzeugkiste der Diktatoren bedienen, um das Volk ruhig zu stellen und mögliche Konkurrenten (und davon gibt es immer viele) auf den Platz zu verweisen. Diese Regeln möchte ich kurz vorstellen, um am Schluss eine erschreckende Schlussfolgerung zu formulieren, von der ich hoffe, dass sie nie eintritt.

Das einfachste Werkzeug der Diktatoren ist:

Repression

Zu den Repressionen zählen

  • Einschränkung der Pressefreiheit, die man Volksverdummung im großen Stil nennen kann.
  • Einschüchterung von Oppositionellen durch Ämterentzug, Arbeitsverbote, erfundenen Anklagen
  • Verhaftung und Einsperren der Oppositionellen in Arbeitslager, wo sie möglichst zu Tode geschunden werden.
  • Ermordung unliebsamer Widersacher, auch im Exil, damit alle wissen, dass der lange Arm der Macht nirgendwo seine Grenzen findet.

Das und mehr (Bespitzelung, Überwachung, etc.) kann man als  Standardwerkzeuge des diktatorischen Machterhalts bezeichnen. Aber nur mit Repressionen und Angst kann sich kein Herrscher auf Dauer an der Macht halten. Dazu braucht es mehr, womit wir beim zweiten Punkt wären:

Panem et circenses

Man muss dem Volk Brot und Spiele geben. Das persönliche Wohlergehen der Bevölkerung muss sichergestellt sein. In den städtischen Zentren ist das natürlich weitaus wichtiger als auf dem Land, denn Bauernrevolten hat es nur selten gegeben. Brot und Handys und schöne Autos lieferte Wladimir der Schreckliche mit freundlicher Unterstützung des Westens dem russischen Volk. Die Olympischen Winterspiele 2014 und die Fußballweltmeisterschaft 2018 waren Teil einer Unterhaltungsstrategie, die durch professionelles, staatliches Doping unterstützt, der Bevölkerung den Stolz auf ihr Land gegeben haben.

Ein anderer Teil der Spiele war die Personality-Show von Wladimir dem Schrecklichen. Einmal jährlich veranstaltete er eine perfekt choreografierte, mehrstündige Liveveranstaltung, bei der er sich im Fernsehen den Fragen der Bürger seines Landes stellte und Probleme im Handumdrehen löste. Damit erhielt er das Image des Kümmerers, der – wenn er nur von den Problemen wüsste – jedes Problem und jede Ungerechtigkeit lösen kann.

Mit diesen beiden Regeln kann ein Tyrann die politische Opposition und das Volk auf Linie bringen. Was noch fehlt, ist die eigene Gefolgschaft einzuhegen, denn die meisten Tyrannenmörder wachsen in der Gefolgschaft des Tyrannen heran. Dazu braucht es:

Divide et impera

Der schwierigste Akt eines Diktator ist es, die eigene Gefolgschaft unter Kontrolle zu halten und dieser Drahtseilakt lautet: Teile und Herrsche.

Dabei hat das Wort ‚teile‘ in diesem Zusammenhang eine doppelte Bedeutung. Zum einen ist es natürlich wichtig, den Gewinn zu teilen. Der Diktator muss das Geld mit offenen Händen an diejenigen verteilen, die sich ihm gegenüber loyal verhalten. Ohne das geht es nicht und trifft auch auf all diejenigen zu, die sich später von dem Diktator abwenden und voller moralische Abscheu ins Exil gehen, wobei sie sich vorher natürlich ein auskömmliches Vermögen beiseite geschafft haben und im Exil angekommen, als Freunde der Freiheit gefeiert werden.

Aber die finanzielle ‚Großzügigkeit‘ des Herrschers ist nur die eine Seite des ‚Teilens‘. Der weitaus wichtigere Aspekt ist es, die Macht zu fragmentieren. Damit ist keineswegs Gewaltenteilung gemeint, sondern eine Zersplitterung der Macht in undurchschaubare Teile.

Der Weg dazu ist relativ einfach: Man schafft Doppel- und Dreifachstrukturen mit sich überschneidenden Verantwortungsbereichen und unklaren Weisungsbefugnissen und verteilt die eigene Gunst einmal hierhin und einmal dorthin. Solche Strukturen führen automatisch zu internen Machtkämpfen und so sind die Vasallen miteinander beschäftigt statt dem Tyrannen an den Kragen zu gehen. Die Vasallen halten sich mit freundlicher Unterstützung des Tyrannen gegenseitig in Schach.

Dieses Spiel beherrscht Wladimir der Schreckliche perfekt. Niemand außer ihm soll populär werden können. Immer bleibt er für Erfolge verantwortlich, weil die Vasallen sich Erfolge gegenseitig nicht gönnen und bei Misserfolgen stets mit dem Finger auf die anderen zeigen, statt auf den Herrscher aller Reußen. So werden Konkurrenten kleingehalten. Das ist das Spiel der Diktatoren.

Die Gefahr des Untergangs

Aber diese Zersplitterung der Macht hat Wladimir der Schreckliche auf die Spitze getrieben und das könnte sich zu einer dramatischen Gefahr für das russische Volk und den Rest der Welt entwickeln.

Bereits 1994 entstand in Tschetschenien die irreguläre Armee der Familie Kadyrov, die 1999 mit ungeheurer Brutalität Krieg im eigenen Land führte. 2006 wurde diese Privatarmee formal der Nationalgarde unterstellt, agiert aber unabhängig von ihr.

Im Jahr 2014 hat Wladimir der Schreckliche seinem ‚Koch‘ Prigoschin erlaubt, eine Söldnerarmee aufzustellen. Sie ist als Wagner Gruppe bekannt und gefürchtet. Gleichzeitig entstanden im Donbass Milizen, die sich als Freiheitskämpfer bezeichnen.

Der Hintergedanke von Wladimir dem Schrecklichen war es, die verschiedenen Player gegeneinander ausspielen zu können, damit keiner mächtig genug wird, um ihn zu stürzen. Zudem würde so, im Falle militärischer Erfolge, das Licht des Sieges ausschließlich auf ihn fallen.

Aber: „Kein Plan überlebt die erste Feindberührung“ schrieb Helmuth von Moltke und so geschah es auch bei der Invasion der Ukraine. Es gab keinen ruhmreichen Einzug in Kiew und Wladimir der Schreckliche hat alle Hände voll zu tun, seine Macht zu sichern. Egal ob als Zeichen der Schwäche oder aus taktischen Erwägungen entstehen immer neue Milizen. Nach neuesten Informationen hat der russische Statthalter der Krim, Sergej Aksjonow, nun seine eigne Söldnertruppe gegründet.

Nun geschieht das, was immer geschieht: „Die Geister die ich rief, die werd ich nicht mehr los.“ Es entstehen immer mehr Warlords, auch ohne Zutun von oben. So sorgte vor Kurzem eine vermutlich rechtsradikale, russische Befreiungsarmee, die von der Ukraine aus operiert, in Russland für Unruhe.

Warlords mit Privatarmeen sind eine hochexplosive Mischung, die sich auf Dauer nicht kontrollieren lassen. Sie warten auf den Tag, an dem die derzeitige russische Konstruktion zusammenbricht, um sich dann möglichst große Teile des zerbrechenden Landes unter den Nagel zu reißen. Ironischerweise könnten damit die Prophezeiungen der aktuellen Herrscherclique in Erfüllung gehen, die unterstellen, dass der Westen Russland zerstören wolle, dabei aber Ross und Reiter verwechseln.

Sollte das so eintreten, dann befürchte ich das Schlimmste. Ein untergehendes, mit Atomwaffen vollgestopftes Russland, dass von Dutzenden durchgeknallter Warlords zerfleischt wird, ist sicher die gefährlichere Alternative als ein Wladimir Putin.

Insofern hoffe ich, dass ich mich mit meiner Analyse irre und die Max Planck zugeschriebene Bemerkung, dass ‚Prognosen schwierig sind, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen‘ auch dieses Mal zutrifft. Allerdings wünsche ich mir, dass der Westen sich im Geheimen auf ein solches Szenario vorbereitet.

24.6.2023

Heute ist das eingetreten, was ich befürchtet habe. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/prigoschin-rostow-machtkampf-100.html

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Bemerkungen zum Krieg (7)

Heute möchte ich es kurz halten, will aber einen Gedanken den Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten. Er stammt wohlgemerkt nicht von mir, sondern wurde Sonntagabend beim sechsten Berliner Tafelgespräch von einem Teilnehmer eingebracht und diskutiert.

Die These lautet:

Der Ukrainekrieg ist der zweite und letzte Akt des endgültigen Zusammenbruchs der Sowjetunion.

So wie Deutschland nach der demütigenden Niederlage des ersten Weltkriegs von einem ‚Zurück‘ zu vermeintlicher Größe phantasierte und den zweiten Weltkrieg brauchte, um zu begreifen, dass das nicht möglich ist, so geht es Russland heute.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 wurde (wird) von der herrschenden Klasse in Russland als Schmach und Schande wahrgenommen und mit dem Ukrainekrieg sollte der Zustand alter imperialer Größe wiederhergestellt werden.

Da dieser Krieg, unabhängig vom Ausgang, für Russland m.E. bereits verloren ist, (siehe: Bemerkungen zum Krieg (1) – Peter K.), könnte sich das Land anschließend neu – hoffentlich besser – erfinden. Das ist jedenfalls meine optimistische Interpretation.

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Der Einzige und sein Eigentum

Als ich hörte, dass im Deutschen Theater ‚Der Einzige und sein Eigentum‘ als Theaterstück aufgeführt wird, musste ich unbedingt hin. Als junger Mann habe ich in einer Lesegruppe mehrere Jahre lang den Max Stirner Text Woche für Woche, Absatz für Absatz gelesen und vor allem diskutiert. Das Buch hat mein Denken geprägt, auch wenn ich mich heute nicht mehr als pazifistischen Anarchisten bezeichnen würde.

Um es mit einem Satz zusammenzufassen: Der Abend war beeindruckend und enttäuschend zugleich.

Beeindruckend das Bühnenbild, die Kostüme, die Choreografie, der Sprechgesang, also die Inszenierung, alles mit ungeheurem Aufwand in Szene gesetzt. Wirkliches Theater, mit allem Schnickschnack der heute en vogue ist. Die Drehbühne fast immer in Bewegung, ständig wechselnde Kostüme und der Sprechgesang, mit lauter Musik hinterlegt, mal im Chor, mal im Wechsel, mal als Soli. Dazu Videoprojektionen der SchauspielerInnen, wobei der an Breugel erinnernde, raumfüllende, spiralförmige Turm als Projektionsfläche diente, auf den später bedeutungsschwanger Bienenwaben projiziert wurden, die sich schließlich zu Hochhausgebilden transformierten. Der scheinbare Höhepunkt war es, als die Zuschauer sich eine 3D-Brille aufsetzen und in eine 3D-Welt eintauchen sollten. Leider war der visuelle Eindruck eher mittelmäßig und es wirkte gewollt.

„Überwältigungsästhetik“, kommentierte mein Begleiter die Inszenierung lakonisch, „ein Wagnersches Gesamtkunstwerk.“

Sehr enttäuschend war die inhaltliche Ebene. Die Texte, allesamt originale Stirnerzitate, wie die neben uns sitzende Souffleuse versicherte, waren kaum zu verstehen. Manche Phrasen waren, wohl wegen besserer Rhythmisierung, ins Englische übersetzt, einiges wurde permanent wiederholt. Insgesamt trat der Text vollständig in den Hintergrund und spielte – bis auf einen sehr spannenden Monolog über das Recht – keine Rolle.

„Man hätte auch die Bibel nehmen können“, meinte mein Begleiter trocken, was ich wiederum ausschloss, weil das nicht provozierend genug wäre, um sich heute den Mantel des künstlerischen umzuhängen.

Zurück bleibt ein ambivalenter Eindruck.

Schade.

https://www.deutschestheater.de/programm/a-z/der-einzige-und-sein-eigentum/

Weitere Theaterkritiken siehe auch:

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Bemerkungen zum Krieg (6)

Derzeit sind die Augen der Welt auf den Kriegsschauplatz Bachmut gerichtet. Wenn alle aber nur auf einen Punkt starren, dann bereitet sich meistens im Verborgenen etwas anderes vor. Nach Ansicht vieler Experten ist die Stadt Bachmut nämlich nicht von großer strategischer Bedeutung, aber die erbitterten und verlustreichen Kämpfe dort könnten von Vorbereitungen einer größeren Offensive der Ukraine an anderer Stelle ablenken. Das Gejammere der Ukraine über fehlende Munition unterstützt dabei den Eindruck einer ukrainischen Schwäche, die möglicherweise bewusst hervorgerufen werden soll.

Strategisch würde es Sinn machen, wenn die Ukraine versuchen würde, die von Russland besetzten Gebiete in zwei Teile zu zerschneiden. Das könnte im Frühjahr mit einem massierten Panzerangriff in Richtung Assowsches Meer geschehen, was einer Strecke von knapp 100 Kilometer entspricht. Sicher schwierig, aber lösbar.

Durch einen solchen Schnitt würden die logistischen Probleme der Russen massiv erhöht. Die Versorgung russischen Truppen im südwestlichen Teil des Gebietes müsste dann über die Krim erfolgen, was einen riesigen Umweg mit entsprechende Herausforderungen bedeutet

Zugegeben, das sind Spekulationen. Vielleicht ist die ukrainische Armee tatsächlich geschwächt, aber wundern würde ich mich nicht, wenn wir noch Überraschungen erleben.

siehe auch: https://peterk.berlin/2022/10/16/bemerkungen-zum-krieg-5/

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Vorschlag zu Wladimir Putin

Leider kann ich mich nicht zurückhalten hier einen Vorschlag zu machen, von dem ich hoffe, dass er möglichst viel Verbreitung findet.

Ich schlage deshalb vor, den Staatspräsidenten der russischen Föderation Herrn Wladimir Wladimirowitsch Putin in eine Reihe mit seinem großen Vorgänger Iwan IV zu stellen und ihn fortan wie jenen zu titulieren:

Wladimir der Schreckliche