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Zur Nachahmung empfohlen: Wohnung tauschen

Tausende kommen jeden Tag als Touristen nach Paris. Millionen haben über Paris geschrieben. Milliarden Fotos kursieren auf Instagram oder Facebook.
Was soll man noch schreiben?
Gibt es etwas Neues zu berichten?

Nein!

Es sei denn über das Bild des alten Juden, dass an der Wand unserer Wohnung im zweiten Arrondissement hängt. Ein graubärtiger Mann mit Nickelbrille, der – es ist nicht zu erkennen – einen Faden in eine Nadel einzufädeln scheint. Er schaut nach oben, gegen das Licht. Seine Hände hält er direkt vor seine Gesicht, fast wie zum Gebet erhoben. Er ist sehr konzentriert. Pointilistisch wirkt es, aus lauter winzigen Punkten. Ein schönes Bild, dass unsere Wohnungstauschpartnerin gehört und in ihrem Wohnzimmer aufgehängt hat. Für mich ist es das aufregendste Bild in der kleinen Wohnung, wo wir zehn Tage verbringen dürfen. Es ist ein altes Haus, in diesem sehr alten Viertel, dass bereits seit dem 16. Jahrhundert existiert. Vor der Tür tobt das Leben, ein Café rechts, ein Café gegenüber, Dutzende Restaurants, Geschäfte, Supermarché um die Ecke.

In der Zeit unseres Aufenthalts lebt Héléne in unserer Wohnung in Berlin, die sicher doppelt so groß wie die in Paris, aber weiter weg vom turbulenten Leben.

Vor einigen Jahren erzählte mir ein Mann, dass in Paris das Gerücht kursiere, man könne sich in Berlin Wohnungen leisten, wo man Tische mit acht Stühlen aufstellen kann. Wir haben einen Tisch mit zehn Stühlen. Aber die Zeiten haben sich auch in Berlin geändert, noch sind wir aber weit von Pariser Verhältnissen entfernt.

In der kleinen Pariser Wohnung hat Héléne mit ihrem Partner gelebt. Er ist tot. Sie ist Juristin. Irgendwie ist sie mit Rosa Luxemburg verwandt. Ich kenne sie nicht, aber sie ist mir sympathisch. Wenn man das Wohnzimmer einer Unbekannten betritt, dann betritt man das Museum ihres Lebens.

Wir fühlen uns wohl hier. Das Wohnzimmer – eigentlich eine Wohnküche – ist gemütlich. Ein rotes Sofa beherrscht den Raum. Bilder, Bücher, ein Tisch, vier Stühle, eine Dantefigur auf dem Kaminsims. Eine uralte Holzbalkendecke über uns. Oben drüber spielt manchmal jemand Klavier, es klingt schön. Es ist kein Meisterpianist, aber auch keine Dilettantin. Es wiegt einen in den Schlaf. Im Schlaf, wenn man das Ohr auf die Matratze legt, hört man ganz leise das Rattern der Metro, die in der Nähe vorbeifährt. Wenn ich Nachts wach werde, stelle ich mir vor, wie sich dieser hell erleuchtete Wurm mit den Menschen durch den dunklen Untergrund bewegt.

Das Schöne an diesem Aufenthalt ist, dass wir keinen Stress haben. Wir müssen keine Baedeker Sterne abarbeiten. Wir gehen vor die Tür, kaufen Lebensmittel ein, trinken Café, fallen zufällig in eine Ausstellungseröffnung, machen einen Nachmittagsschlaf. Abends kochen wir oder gehen essen. Wie es uns gefällt. Der Louvre ist nicht weit. Das Centré Pompidou noch näher.

Im Louvre erstaunt uns, wie viele Menschen sich vor der Mona Lisa drängeln, aber andere Meisterwerke von Leonardo, Raphael oder Caravaggio kaum eines Blickes würdigen.

Das Leben ist anders hier. Es scheint als lebe man mehr in der Öffentlichkeit, im Café, im Restaurant, im Park, vermutlich auch, weil es hier weniger Wohnungen gibt, wo man einen Tisch mit acht Stühlen aufstellen kann.

auch interessant: Herr K. und das Reisen – Peter K.

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Bemerkungen über den Krieg (9)

Was wir gerade in der Ukraine erleben, ist keine unbekannte Situation. Der Krieg ist statisch geworden. Die Front bewegt sich kaum. Um jeden Quadrtkilometer Boden wird heftig gerungen. Die Russen haben sich verschanzt und die Ukraine rennt verzweifelt dagegen an. Was Menschen an der Front erleben, kann man in den Büchern über den ersten Weltkrieg nachlesen. Jünger hat es in „In Stahlgewittern“ oder Remarque in „Im Westen nichts Neues“ beschrieben.

Ein Grauen!

Je länger dieses Grauen anhält, desto schwerer wird es, nicht nur militärisch, sondern besonders auch psychologisch einen Ausweg zu finden. Es ist ein bekannter psychologischr Mechanismus: Wenn man für eine Sache schon sehr viel geopfert und erlitten hat, dann wächst die Fixierung auf die Sache. So ist es in qualvollen (gewalttätigen) Beziehungen, wo mann/frau nicht gehen kann oder eben im Krieg, wo es immer schwerer wird, einen Ausweg zu finden.

In diesem Krieg gibt es nur drei Möglichkeiten:

Rußland gewinnt den Krieg
Die Ukraine gewinnt den Krieg
Einer von beiden wird vor Erschöpfung aufgeben.

Momentan sieht es so aus, als würde keiner von beiden den Krieg gewinnen können. Die (westlichen) „Wunderwaffen“ bewirken doch nicht was der Name verspricht und auch wenn der Ruf nach noch mehr Waffen gerade wieder lauter wird, muss man annehmen, dass die neuen Waffen, die erhoffte Wende für die Ukraine nicht bringen werden.

Also läuft derzeit alles auf einen Abnutzungskrieg heraus. Wladimir der Schreckliche ist davon überzeugt, dass er dabei den längeren Atem hat und dieses zynische Kalkül ist nicht unwahrscheinlich, denn die Alternative wäre, dass das russische Volk oder das Militär den Aufstand wagt. Zudem ist damit zu rechnen, dass der Westen früher oder später tatsächlich kriegsmüde werden wird.

Auf der Gegenseite hat Herr Selensky bei seinem Volk Hoffnungen geweckt, die sich allem Anschein nach nicht erfüllen lassen. Er kann aber von diesem hohen Ross der Befreiung aller ukrainischen Gebiete nicht mehr herunter, ohne das Gesicht zu verlieren und erhebliche Unruhe im Volk auszulösen.

Der Konflikt steckt also in einer unlösbaren Falle und hierin ähnelt der Situation während des ersten Weltkrieges. Das bedeutet: Das Grauen geht weiter und jede denkbare Alternative wird den Konflikt nicht lösen.

Abgesehen von der unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass Rußland zusammenbricht und sich vollständig aus den besetzten Gebieten zurückzieht und der ebenso unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass die Ukraine alle besetzten Gebiete zurückerobert, wird es also früher oder später darauf hinauslaufen, dass die Ukraine auf Gebiete verzichten muss. Dies wird die inneren Verhältnisse in der Ukraine destabilisieren, Russland aufwerten und einen brandgefährlichen Unruheherd am Rande Europas schaffen.

Schaurige Aussichten.

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Der Untergang Russlands als Self-fulfilling Prophecy

29.5.2023

Wladimir der Schreckliche, wie ich Herrn Putin in Erinnerung an einen von ihm bewunderten Vorgänger zu nennen pflege, ist ein Diktator, dem es, wie allen Diktatoren, in erster Linie um den Erhalt seiner Macht geht.

Um sich an der Macht zu halten, muss er sich aus der Werkzeugkiste der Diktatoren bedienen, um das Volk ruhig zu stellen und mögliche Konkurrenten (und davon gibt es immer viele) auf den Platz zu verweisen. Diese Regeln möchte ich kurz vorstellen, um am Schluss eine erschreckende Schlussfolgerung zu formulieren, von der ich hoffe, dass sie nie eintritt.

Das einfachste Werkzeug der Diktatoren ist:

Repression

Zu den Repressionen zählen

  • Einschränkung der Pressefreiheit, die man Volksverdummung im großen Stil nennen kann.
  • Einschüchterung von Oppositionellen durch Ämterentzug, Arbeitsverbote, erfundenen Anklagen
  • Verhaftung und Einsperren der Oppositionellen in Arbeitslager, wo sie möglichst zu Tode geschunden werden.
  • Ermordung unliebsamer Widersacher, auch im Exil, damit alle wissen, dass der lange Arm der Macht nirgendwo seine Grenzen findet.

Das und mehr (Bespitzelung, Überwachung, etc.) kann man als  Standardwerkzeuge des diktatorischen Machterhalts bezeichnen. Aber nur mit Repressionen und Angst kann sich kein Herrscher auf Dauer an der Macht halten. Dazu braucht es mehr, womit wir beim zweiten Punkt wären:

Panem et circenses

Man muss dem Volk Brot und Spiele geben. Das persönliche Wohlergehen der Bevölkerung muss sichergestellt sein. In den städtischen Zentren ist das natürlich weitaus wichtiger als auf dem Land, denn Bauernrevolten hat es nur selten gegeben. Brot und Handys und schöne Autos lieferte Wladimir der Schreckliche mit freundlicher Unterstützung des Westens dem russischen Volk. Die Olympischen Winterspiele 2014 und die Fußballweltmeisterschaft 2018 waren Teil einer Unterhaltungsstrategie, die durch professionelles, staatliches Doping unterstützt, der Bevölkerung den Stolz auf ihr Land gegeben haben.

Ein anderer Teil der Spiele war die Personality-Show von Wladimir dem Schrecklichen. Einmal jährlich veranstaltete er eine perfekt choreografierte, mehrstündige Liveveranstaltung, bei der er sich im Fernsehen den Fragen der Bürger seines Landes stellte und Probleme im Handumdrehen löste. Damit erhielt er das Image des Kümmerers, der – wenn er nur von den Problemen wüsste – jedes Problem und jede Ungerechtigkeit lösen kann.

Mit diesen beiden Regeln kann ein Tyrann die politische Opposition und das Volk auf Linie bringen. Was noch fehlt, ist die eigene Gefolgschaft einzuhegen, denn die meisten Tyrannenmörder wachsen in der Gefolgschaft des Tyrannen heran. Dazu braucht es:

Divide et impera

Der schwierigste Akt eines Diktator ist es, die eigene Gefolgschaft unter Kontrolle zu halten und dieser Drahtseilakt lautet: Teile und Herrsche.

Dabei hat das Wort ‚teile‘ in diesem Zusammenhang eine doppelte Bedeutung. Zum einen ist es natürlich wichtig, den Gewinn zu teilen. Der Diktator muss das Geld mit offenen Händen an diejenigen verteilen, die sich ihm gegenüber loyal verhalten. Ohne das geht es nicht und trifft auch auf all diejenigen zu, die sich später von dem Diktator abwenden und voller moralische Abscheu ins Exil gehen, wobei sie sich vorher natürlich ein auskömmliches Vermögen beiseite geschafft haben und im Exil angekommen, als Freunde der Freiheit gefeiert werden.

Aber die finanzielle ‚Großzügigkeit‘ des Herrschers ist nur die eine Seite des ‚Teilens‘. Der weitaus wichtigere Aspekt ist es, die Macht zu fragmentieren. Damit ist keineswegs Gewaltenteilung gemeint, sondern eine Zersplitterung der Macht in undurchschaubare Teile.

Der Weg dazu ist relativ einfach: Man schafft Doppel- und Dreifachstrukturen mit sich überschneidenden Verantwortungsbereichen und unklaren Weisungsbefugnissen und verteilt die eigene Gunst einmal hierhin und einmal dorthin. Solche Strukturen führen automatisch zu internen Machtkämpfen und so sind die Vasallen miteinander beschäftigt statt dem Tyrannen an den Kragen zu gehen. Die Vasallen halten sich mit freundlicher Unterstützung des Tyrannen gegenseitig in Schach.

Dieses Spiel beherrscht Wladimir der Schreckliche perfekt. Niemand außer ihm soll populär werden können. Immer bleibt er für Erfolge verantwortlich, weil die Vasallen sich Erfolge gegenseitig nicht gönnen und bei Misserfolgen stets mit dem Finger auf die anderen zeigen, statt auf den Herrscher aller Reußen. So werden Konkurrenten kleingehalten. Das ist das Spiel der Diktatoren.

Die Gefahr des Untergangs

Aber diese Zersplitterung der Macht hat Wladimir der Schreckliche auf die Spitze getrieben und das könnte sich zu einer dramatischen Gefahr für das russische Volk und den Rest der Welt entwickeln.

Bereits 1994 entstand in Tschetschenien die irreguläre Armee der Familie Kadyrov, die 1999 mit ungeheurer Brutalität Krieg im eigenen Land führte. 2006 wurde diese Privatarmee formal der Nationalgarde unterstellt, agiert aber unabhängig von ihr.

Im Jahr 2014 hat Wladimir der Schreckliche seinem ‚Koch‘ Prigoschin erlaubt, eine Söldnerarmee aufzustellen. Sie ist als Wagner Gruppe bekannt und gefürchtet. Gleichzeitig entstanden im Donbass Milizen, die sich als Freiheitskämpfer bezeichnen.

Der Hintergedanke von Wladimir dem Schrecklichen war es, die verschiedenen Player gegeneinander ausspielen zu können, damit keiner mächtig genug wird, um ihn zu stürzen. Zudem würde so, im Falle militärischer Erfolge, das Licht des Sieges ausschließlich auf ihn fallen.

Aber: „Kein Plan überlebt die erste Feindberührung“ schrieb Helmuth von Moltke und so geschah es auch bei der Invasion der Ukraine. Es gab keinen ruhmreichen Einzug in Kiew und Wladimir der Schreckliche hat alle Hände voll zu tun, seine Macht zu sichern. Egal ob als Zeichen der Schwäche oder aus taktischen Erwägungen entstehen immer neue Milizen. Nach neuesten Informationen hat der russische Statthalter der Krim, Sergej Aksjonow, nun seine eigne Söldnertruppe gegründet.

Nun geschieht das, was immer geschieht: „Die Geister die ich rief, die werd ich nicht mehr los.“ Es entstehen immer mehr Warlords, auch ohne Zutun von oben. So sorgte vor Kurzem eine vermutlich rechtsradikale, russische Befreiungsarmee, die von der Ukraine aus operiert, in Russland für Unruhe.

Warlords mit Privatarmeen sind eine hochexplosive Mischung, die sich auf Dauer nicht kontrollieren lassen. Sie warten auf den Tag, an dem die derzeitige russische Konstruktion zusammenbricht, um sich dann möglichst große Teile des zerbrechenden Landes unter den Nagel zu reißen. Ironischerweise könnten damit die Prophezeiungen der aktuellen Herrscherclique in Erfüllung gehen, die unterstellen, dass der Westen Russland zerstören wolle, dabei aber Ross und Reiter verwechseln.

Sollte das so eintreten, dann befürchte ich das Schlimmste. Ein untergehendes, mit Atomwaffen vollgestopftes Russland, dass von Dutzenden durchgeknallter Warlords zerfleischt wird, ist sicher die gefährlichere Alternative als ein Wladimir Putin.

Insofern hoffe ich, dass ich mich mit meiner Analyse irre und die Max Planck zugeschriebene Bemerkung, dass ‚Prognosen schwierig sind, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen‘ auch dieses Mal zutrifft. Allerdings wünsche ich mir, dass der Westen sich im Geheimen auf ein solches Szenario vorbereitet.

24.6.2023

Heute ist das eingetreten, was ich befürchtet habe. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/prigoschin-rostow-machtkampf-100.html

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Bemerkungen zum Krieg (7)

Heute möchte ich es kurz halten, will aber einen Gedanken den Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten. Er stammt wohlgemerkt nicht von mir, sondern wurde Sonntagabend beim sechsten Berliner Tafelgespräch von einem Teilnehmer eingebracht und diskutiert.

Die These lautet:

Der Ukrainekrieg ist der zweite und letzte Akt des endgültigen Zusammenbruchs der Sowjetunion.

So wie Deutschland nach der demütigenden Niederlage des ersten Weltkriegs von einem ‚Zurück‘ zu vermeintlicher Größe phantasierte und den zweiten Weltkrieg brauchte, um zu begreifen, dass das nicht möglich ist, so geht es Russland heute.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 wurde (wird) von der herrschenden Klasse in Russland als Schmach und Schande wahrgenommen und mit dem Ukrainekrieg sollte der Zustand alter imperialer Größe wiederhergestellt werden.

Da dieser Krieg, unabhängig vom Ausgang, für Russland m.E. bereits verloren ist, (siehe: Bemerkungen zum Krieg (1) – Peter K.), könnte sich das Land anschließend neu – hoffentlich besser – erfinden. Das ist jedenfalls meine optimistische Interpretation.

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Der Einzige und sein Eigentum

Als ich hörte, dass im Deutschen Theater ‚Der Einzige und sein Eigentum‘ als Theaterstück aufgeführt wird, musste ich unbedingt hin. Als junger Mann habe ich in einer Lesegruppe mehrere Jahre lang den Max Stirner Text Woche für Woche, Absatz für Absatz gelesen und vor allem diskutiert. Das Buch hat mein Denken geprägt, auch wenn ich mich heute nicht mehr als pazifistischen Anarchisten bezeichnen würde.

Um es mit einem Satz zusammenzufassen: Der Abend war beeindruckend und enttäuschend zugleich.

Beeindruckend das Bühnenbild, die Kostüme, die Choreografie, der Sprechgesang, also die Inszenierung, alles mit ungeheurem Aufwand in Szene gesetzt. Wirkliches Theater, mit allem Schnickschnack der heute en vogue ist. Die Drehbühne fast immer in Bewegung, ständig wechselnde Kostüme und der Sprechgesang, mit lauter Musik hinterlegt, mal im Chor, mal im Wechsel, mal als Soli. Dazu Videoprojektionen der SchauspielerInnen, wobei der an Breugel erinnernde, raumfüllende, spiralförmige Turm als Projektionsfläche diente, auf den später bedeutungsschwanger Bienenwaben projiziert wurden, die sich schließlich zu Hochhausgebilden transformierten. Der scheinbare Höhepunkt war es, als die Zuschauer sich eine 3D-Brille aufsetzen und in eine 3D-Welt eintauchen sollten. Leider war der visuelle Eindruck eher mittelmäßig und es wirkte gewollt.

„Überwältigungsästhetik“, kommentierte mein Begleiter die Inszenierung lakonisch, „ein Wagnersches Gesamtkunstwerk.“

Sehr enttäuschend war die inhaltliche Ebene. Die Texte, allesamt originale Stirnerzitate, wie die neben uns sitzende Souffleuse versicherte, waren kaum zu verstehen. Manche Phrasen waren, wohl wegen besserer Rhythmisierung, ins Englische übersetzt, einiges wurde permanent wiederholt. Insgesamt trat der Text vollständig in den Hintergrund und spielte – bis auf einen sehr spannenden Monolog über das Recht – keine Rolle.

„Man hätte auch die Bibel nehmen können“, meinte mein Begleiter trocken, was ich wiederum ausschloss, weil das nicht provozierend genug wäre, um sich heute den Mantel des künstlerischen umzuhängen.

Zurück bleibt ein ambivalenter Eindruck.

Schade.

https://www.deutschestheater.de/programm/a-z/der-einzige-und-sein-eigentum/

Weitere Theaterkritiken siehe auch:

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Bemerkungen zum Krieg (6)

Derzeit sind die Augen der Welt auf den Kriegsschauplatz Bachmut gerichtet. Wenn alle aber nur auf einen Punkt starren, dann bereitet sich meistens im Verborgenen etwas anderes vor. Nach Ansicht vieler Experten ist die Stadt Bachmut nämlich nicht von großer strategischer Bedeutung, aber die erbitterten und verlustreichen Kämpfe dort könnten von Vorbereitungen einer größeren Offensive der Ukraine an anderer Stelle ablenken. Das Gejammere der Ukraine über fehlende Munition unterstützt dabei den Eindruck einer ukrainischen Schwäche, die möglicherweise bewusst hervorgerufen werden soll.

Strategisch würde es Sinn machen, wenn die Ukraine versuchen würde, die von Russland besetzten Gebiete in zwei Teile zu zerschneiden. Das könnte im Frühjahr mit einem massierten Panzerangriff in Richtung Assowsches Meer geschehen, was einer Strecke von knapp 100 Kilometer entspricht. Sicher schwierig, aber lösbar.

Durch einen solchen Schnitt würden die logistischen Probleme der Russen massiv erhöht. Die Versorgung russischen Truppen im südwestlichen Teil des Gebietes müsste dann über die Krim erfolgen, was einen riesigen Umweg mit entsprechende Herausforderungen bedeutet

Zugegeben, das sind Spekulationen. Vielleicht ist die ukrainische Armee tatsächlich geschwächt, aber wundern würde ich mich nicht, wenn wir noch Überraschungen erleben.

siehe auch: https://peterk.berlin/2022/10/16/bemerkungen-zum-krieg-5/

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Vorschlag zu Wladimir Putin

Leider kann ich mich nicht zurückhalten hier einen Vorschlag zu machen, von dem ich hoffe, dass er möglichst viel Verbreitung findet.

Ich schlage deshalb vor, den Staatspräsidenten der russischen Föderation Herrn Wladimir Wladimirowitsch Putin in eine Reihe mit seinem großen Vorgänger Iwan IV zu stellen und ihn fortan wie jenen zu titulieren:

Wladimir der Schreckliche

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Warum Demokratie autoritärer Herrschaft überlegen ist

Einführung
Heute gibt es viele Menschen, die glauben, dass autoritäre Systeme den westlichen Demokratien überlegen seien. Allen voran behauptet dies Chinas Machthaber Xi Jinping. Seiner Auffassung nach sind Demokratien schwach und den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gewachsen.
Xi und andere kluge Menschen begründen dies mit der Tatsache, dass die Komplexität der Welt im 21. Jahrhundert offensichtlich immer mehr zunimmt und demokratische Prozesse viel zu langsam sind, um auf diese Komplexität adäquat reagieren zu können.
Zweifellos ist der Aufstieg Chinas in den letzten 30 Jahren ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie erfolgreich ein autoritäres System sein kann.
Aber Xi Jinping irrt.
An dieser Stelle sei ein Leitsatz der Kybernetik herangezogen: Steigende Komplexität lässt sich nur durch höhere Variabilität lösen.
Ich möchte das am einfachen Beispiel einer Straßenkreuzung erklären.  Bei wenig Verkehr reicht die einfache Regel rechts-vor-links. Nimmt der Verkehr zu, steigt die Komplexität und eine Ampel wird installiert. Variabilität wird in Regeln gezwängt. Bei noch mehr Verkehr wird die Kreuzung umgebaut und zusätzlich eine Linksabbiegerampel installiert usw. Die Komplexität wird in immer engere Regeln gezwängt und trotzdem kommt es zu mehr Stau. Wie löst man das Problem?
Indem man eine höhere Variabilität schafft und einen Kreisverkehr baut. Dort können theoretisch alle Fahrzeuge von allen Seiten  gleichzeitig hineinfahren und an jeder beliebigen Stelle wieder rausfahren. Kreisverkehre sind eine genial einfache Lösung  mit hoher Anpassungsfähigkeit und Flexibilität.
Warum Demokratien aber in Flexibilität, Variabilität und Anpassungsfähigkeit autoritären Regierungsformen überlegen sind und wie das mit der Entstehung der Demokratie  zusammenhängt, möchte ich im Folgenden ausführen.

Die Gefahren absoluter Macht
Wenn eine Erkenntnis über Herrschaft für alle Zeiten und alle Kulturen richtig sein dürfte, dann ist es die Aussage von Lord Acton: „Macht korrumpiert. Absolute Macht korrumpiert absolut.“

Anders gesagt: Macht steigt dem Menschen zu Kopf, egal wie sehr ein Alleinherrscher versucht,  sich davor zu schützen. Trotz aller moralischen Appelle an die Herrscher, trotz aller Versuche,  ‚gute Könige‘ zu erziehen, trotz des flehentlich erbetenen Beistand Gottes, trotz aller Versuche Herrscher strukturell zu verbessern, etwa durch Versuche römischer Kaiser geeignete Nachfolger durch Adoption ins Amt zu bringen, bleibt gute Herrschaft, selbst in demokratischen Ländern, immer ein Produkt des Zufalls, wie man an Donald Trump und Boris Johnson sehen kann.

Nicht nur in der Vergangenheit war es also Glück oder Pech, ob man einen guten oder einen schlechten König bekam und für die Zeitgenossen waren die ‚guten‘ Könige oft gar nicht so gut. Friedrich II, der erst von den nachfolgenden Generationen zum ‚Großen‘ gemacht wurde, starb nach 46 Jahren Regierungszeit und seine Untertanen waren erleichtert, weil sie endlich einen neuen Herrscher bekamen und sich Verbesserungen erhofften, denn nach Friedrichs II stürmischen und kriegerischen Anfangsjahren war seine Regierung mehr und mehr erstarrt. Die Zeit drehte sich weiter, aber Reformen blieben aus.

Die Hoffnung auf Reformen durch den Nachfolger von Friedrich dem Großen erfüllten sich nicht, denn Friedrich-Wilhelm II war ein schwacher Monarch. Also musste das Volk weitere elf Jahre warten, bis auch dieser König starb und einen preußischen König später kam Napoleon, der alles in Europa umwarf und dadurch die in Preußen dringend notwendigen Hardenberg/Steinschen Reformen ermöglichte.

Reformen durch Tod
Veränderungen und wichtige Reformen finden in Autokratien, Diktaturen, Monarchien, Sultanaten etc. nahezu ausschließlich durch den Tod eines Herrschers, durch verlorene Kriege oder auf Grund von Aufständen statt, wobei die erfolgreichen Aufstände meistens mit der Beseitigung des Herrschers einhergehen. Wenn man aber auf den Tod des Herrschers warten muss, kommt es zu politischem Stillstand, wenn er lange lebt.

Ludwig XIV regierte 72 Jahre, Kaiser Franz-Joseph von Österreich immerhin 68 Jahre. Sie sind europäische Beispiele, die einen gewaltigen Reformstau hinterließen und deren Herrschaftssysteme nicht mehr lange überlebten. Das gleiche gilt für Sultan Abdul Hamid II, der 33 Jahre an der Macht blieb  dessen osmanisches Reich kurze Zeit nach ihm unterging.

In all diesen Fällen (und vielen anderen mehr) wurden die nachfolgenden Reformen durch blutige Unruhen, Kriege oder Revolutionen erzwungen. Erneuerung kann in autoritären Systemen nur blutig oder im besseren Fall durch den Tod des Herrscher eingeleitet werden. Anders als Demokratien, wie sich am Beispiel Englands oder der Schweiz nachweisen lässt, sind autoritäre Systeme nicht in der Lage, sich selbst zu erneuern.

In der Konsequenz bedeutet das, dass für Reformen in autoritären Systemen der Herrscher sterben muss. So war es auch in China. Erst als Mao Zedong 1976 nach 27 Jahren Herrschaft starb, konnte sein Nachfolger Deng Xiaoping China reformieren, die schlimmsten Auswüchse von Maos Herrschaft beenden, das Volk satt machen und nicht zuletzt Chinas Weg zur Weltmacht ebnen.

Wenn ein Herrscherwechsel nicht durch Aufstände erzwungen wird, lässt er sich am einfachsten erreichen, indem man den Herrscher (oder die Herrscherin) ermordet. Im Römischen Reich und bis ins späte Mittelalter war das eine in Europa verbreitete Methode, ebenso im osmanischen Reich und auch in China. Natürlich führten diese Herrscherwechsel nicht immer zu positiven Reformen, oft genug  zum genauen Gegenteil, trotzdem hoffen auch heute viele, das Wladimir Putin durch einen Palastputsch zu Fall gebracht wird, weil sie erwarten, dass es dann besser werde. Das ist eine schöne, aber leider zweischneidige Hoffnung, weil es auch schlimmer werden kann.

Also: Reformen finden in autoritären Systemen – wenn überhaupt – nach Herrscherwechseln statt. Nur warum ist das so?

An dieser Stelle ist ein Blick in die menschliche Natur nötig.

Die menschliche Natur und die Zähigkeit von Ideen
Jeder Mensch wächst auf mit den Ideen seiner Zeit. Sie entstehen in einer hochkomplexen Melange von Genen, Physis, Familientraditionen, Erziehung, sozialem Umfeld, öffentlicher Meinung und Kultur. In dieser Melange entwickeln Menschen ihre Vorstellungen vom Menschen, vom Leben, vom Glauben, von der Gesellschaft  usw. Diese Vorstellungen bleiben ein Leben lang relativ stabil, womit aber nicht gemeint ist, dass Menschen sich nicht vom Links- zum Rechtradikalen wandeln können, wie man es bei dem inzwischen rechtsradikalen Horst Mahler beobachten konnte. In so einem Fall ändern sich nur die vordergründigen Argumentationslinien, die einem dahinterliegendes Menschen- und Gesellschaftsbild übergestülpt werden.

Wie wenig sich eigene Ideen ändern, hat mich selbst sehr überrascht als ich zufällig eine meiner neuen Ideen fast wörtlich in einem alten Tagebucheintrag von vor 40 Jahren wiederfand.

Auch wenn man nicht immer vom Einzelfall auf das Allgemeine schließen sollte, so bleiben etablierte Ideen und Konzepte zäh. Das Gottesgnadentum schaffte es jahrhundertelang den Untertanen Sand in die Augen zu streuen, aber auch drei Generationen Sowjetbürger können von der Beharrlichkeit der Ideen ein Lied singen.  

Alleinherrscher sind besonders gefährdet, an einmal festgelegten Konzepten festzuhalten, denn je länger sie regieren, desto mehr umgeben sie sich zunehmend mit Schmeichlern und Speichelleckern, die ihnen nach dem Mund reden und dafür sorgen, dass die Realität mehr und mehr ausgesperrt wird. Das Ergebnis eines solchen Prozesses lässt sich, soviel scheint klar, bei Wladimir Putin besichtigen, der zu Beginn seines Krieges gegen die Ukraine annahm, dass Kiew in wenigen Tagen fallen und die Bevölkerung ihn jubelnd begrüßen würde. Putin, seine Vasallen und seine Soldaten waren völlig überrascht, dass die Ukraine sich gegen ihren Untergang wehrt. Dieser Verlust von Realitätsbezug ist nicht nur typisch, sondern zwangsläufig für langlebige Herrscher, die in einer nie ganz zu verhindernden Blase leben. 

Spätestens durch Kriege, Aufstände oder Verhaftung müssen langlebige Alleinherrscher feststellen, dass ihre alten Antworten und Ideen nicht mehr zu den Problemen und Fragen der Zeit passen. An dieser Stelle sei an Honecker, Gaddafi oder Ceaușescu, aber auch Gorbatschow oder Wiktor Janukowitsch erinnert. Ihr Antworten passten nicht mehr zur neuen Zeit und ihre Herrschaft wurde mehr oder weniger brutal beendet. Wie gesagt, Erneuerung tritt bei autoritären Systemen bestenfalls ein, wenn die Herrscher abtreten.

Max Planck hat – bezogen auf Naturwissenschaften – sinngemäß formuliert: Neue Wahrheiten triumphieren nie, ihre Gegner sterben nur aus.[i] Man kann dasselbe auch bei politischen und gesellschaftlichen Maximen beobachten.

So war z.B. Wandel durch Handel seit den 70er Jahren deutsche Staatsräson. Obwohl die Zeichen spätestens seit der russischen Annexion der Krim 2014 überdeutlich wurden, dass diese Maxime keine Gültigkeit mehr hat, wurden diese Widersprüche schlicht und ergreifend ignoriert und erst nach dem Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine hat man erkannt, dass Wandel durch Handel nicht mehr passt. Das ist sowohl tragisch als auch menschlich, denn Krieg ist eine Antwort auf nicht beachtete oder falsch beantwortete Probleme.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Menschen und Gesellschaften sind träge, wenn es darum geht beim Denken die Richtung zu ändern und auf die Fragen von heute neue Antworten zu geben.

Es gibt zwei grundsätzliche Probleme von Herrschaft

– Die Korrumpierbarkeit der Macht,
– Gute und schlechte Herrschaft als Zufallsprodukt,

und ein zusätzliches für autoritäre Herrschaft

– Seltene Machtwechsel.

Die Fragen, die sich unsere klugen Vorfahren über Jahrhunderte also immer wieder stellten, lauteten salopp formuliert:

– Wie kann man Macht so gestalten, dass sie nicht absolut korrumpiert werden kann?

– Wie kann man schlechte Herrschaft friedlich beenden?

– Wie kann man der Erneuerung eine Chance geben?

Demokratie als Lösung
Diese Fragen sind nicht trivial, wenn man daran denkt, dass Menschen jahrhundertelang annahmen, dass Herrscher von Gott eingesetzt werden.

Anders als in allen anderen Regionen der Welt, gab es in Europa demokratische Vorbilder. Die antiken griechischen Stadtstaaten waren zwar keine Demokratien im heutigen Sinne, aber es gab ein Mitbestimmungsrecht von ausgewählten Bürgern. Im  römischen Reich setzte sich diese Tradition fort und die Wahl von Kaisern, Königen, Fürsten, Äbten, Bürgermeistern usw. zieht sich mehr oder weniger kontinuierlich durch große Teile der europäischen Geschichte.

Das älteste und durchgängigste Wahlverfahren einer „Regierung“ ist übrigens die Papstwahl, wobei sich allerdings dieselben o.g. Fragen stellen. Beim Papst wird seit längerem das Problem zu seltener Machtwechsel dadurch gelöst, dass man überwiegend alte Männer zu Päpsten wählt. Deren Regierungszeit ist durch ihre Lebenszeit natürlich begrenzt. Das ist eine durchaus pragmatische Methode zur Lösung, die aber gleichzeitig eine ganze Reihe anderer Fragen aufwirft.

Um auf die demokratische Entwicklung Europas zurückzukommen, muss man außerdem festhalten, dass es dort seit dem frühen Mittelalter eine Dichotomie der Macht gab. Um zwei bedeutende Machtzentren kreiste Europa: den Papst und den Kaiser. In einem jahrhundertelangen Wechselspiel der Kräfte und Allianzen brauchten beide Seiten Verbündete. Adel, Klerus und Bürger nutzten das sich stetig verändernde Machtgefüge dazu, sich mehr Freiheit und Unabhängigkeit zu verschaffen.

In diesem Spannungsfeld von institutionellen Wahlen auf der einen und Allianzen mit den beiden Machtzentren auf der anderen Seite entstanden die Ideen der Demokratie.

Natürlich war das ein langer Prozess. Gewaltenteilung lässt sich nicht per Gesetz dekretieren, denn alle Seiten, Regierende und Regierte müssen bereit sein, sich dem Ergebnis zu unterwerfen. Ebenso muss eine Gesellschaft lernen, abweichende Meinungen auszuhalten und sich einer Mehrheit, innerhalb definierter Leitplanken, unterzuordnen. Winston Churchill hat das auf den Punkt gebracht: „Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen“. Es braucht Generationen, um dieses gemeinsame Verständnis zu entwickeln, aber es kann funktionieren, wie man nicht nur in Europa, sondern auch an Indien, Taiwan, Korea und in Teilen Afrikas sieht.

Demokratie ist fürwahr keine perfekte Lösung. Der bereits erwähnte Winston Churchill hat es in einem Bonmot auf den Punkt gebracht: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen, abgesehen von all den anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden.“ Die USA und auch Großbritannien haben Verfassungen, die recht alt sind und wohl einer Generalüberholung bedürften. Wahrscheinlich wird auch die heutige deutsche Verfassung in 200 Jahren nicht mehr dem Stand der Zeit entsprechen. Deshalb waren die Gründerväter und -mütter des Grundgesetzes so klug, nur die ersten 20 Artikel zu den sogenannten ‚Ewigkeitsartikeln‘ zu erklären.

Demokratie ist anders gesagt, eine pragmatische Form der Organisation eines Staates, die auf der Erkenntnis aufbaut, dass Macht auf Dauer verliehen nicht nur schädlich, sondern höchst gefährlich ist und dass Diskurs nicht immer, aber auf Dauer, die besseren Lösungen hervorbringt.

Damit unterscheidet sich Demokratie von autoritären Regierungsformen. Weil Probleme sich in aller Regel besser durch Diskurs lösen lassen, wurde der Diskurs in der Demokratie institutionalisiert. Natürlich entstehen auch in Demokratien Dummheiten, aber dann gibt es nach einiger Zeit Wahlen, um dem Volk die Gelegenheit zu geben, seine Meinung kund zu tun und zu entscheiden: „Mit Euch nicht mehr. Ihr bringt es nicht.“ So kann das politische System vom Volk in vergleichsweise kurzen Abständen zu Kurskorrekturen gezwungen werden. Unzufriedenheit wird kanalisiert. Dadurch werden nebenbei auch Revolutionen verhindert. Zwar gibt es auch in Demokratien Unruhen, aber keine systemstürzenden Revolutionen. Die sogenannte 68er Revolution hat, obwohl so genannt, lediglich die kulturellen, nie aber die strukturellen Grundfeste der Bundesrepublik (oder anderer Länder) ins Wanken gebracht.

Außerdem ist Demokratie durch die oben beschriebenen Merkmale ein zwar langsamer, aber mal mehr mal weniger dynamischer Problemlösungsprozess. Selbst auf kurze Sicht kann sich eine Regierung nicht erlauben, gravierende Probleme dauerhaft zu ignorieren.

Vorteil und Gefahr autoritärer Herrschaft
Das Problem von Demokratien ist allerdings, dass demokratische Lösungen oft unerträglich lange dauern. Hier sind Alleinherrscher im Vorteil. Sie brauchen sich nicht an das ganze umständliche, gelegentlich unverständliche demokratische Procedere zu halten, sondern sie dekretieren und es wird auf Gedeih und Verderb umgesetzt. Wenn sie Glück haben, treffen sie den Nerv der Bevölkerung. Gelingt das, erscheinen sie unglaublich attraktiv!

Deng Xiaoping ist so ein Beispiel, wobei man nicht vergessen darf, dass er später den Erfolg seiner Reformen mit dem Blut seiner Studenten bezahlen ließ.

Grundsätzlich gilt aber: Bleibt ein Herrscher lange an der Macht, erlischt der Reformschwung des Anfangs und es kommt, früher oder später, zu einer Agonie des Systems. Der Versuch, diese Agonie zu stabilisieren, erfolgt entweder durch ideologische Phrasen oder durch Krieg. Phrasen sind ein Kitt, der nicht lange hält, Krieg bringt Unglück über die Völker.

In diesem Sinne noch ein Wort zu China. China wurde 27 Jahre lang von Mao Zedong aufs brutalste beherrscht. Danach regierte Deng Xiaoping, der nicht nur tiefgreifende wirtschaftliche Reformen einleitete und einen Aufstand seines Volkes niederschlug, sondern auch die Klugheit besaß, die Gefahr absoluter Macht zu erkennen. Deshalb hat er, in Kenntnis der menschlichen Natur, die Amtszeiten für den Präsidenten auf zwei beschränkt. 

Diese weise Regelung hat Xi Jinping abgeschafft.

Für China und die Welt verspricht das nichts Gutes.

© 2023 Peter K. ®


[i] Korrekt: „Die Wahrheit triumphiert nie, Ihre Gegner sterben nur aus.“
Oder in der längeren Version:
„Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“ — Max Planck deutscher Physiker 1858 – 1947

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Aktionen der letzten Generation

Wenn man heute jemanden auf „etwas aufmerksam machen will“, dann geschieht das fast immer aus der Perspektive moralischer Überlegenheit. Aus diesem Grund bereitet es mir Unbehagen jemanden auf etwas „Aufmerksam machen“, denn es handelt sich dabei fast immer um Aktionen junger Menschen, die uns auf unsere Fehler aufmerksam machen.

Nun haben wir – zu unserer Zeit  – genauso mit dem Finger auf die Fehler unserer Vorfahren gezeigt und genau wie wir, übersehen sie die Sache mit dem Splitter und dem Balken. Aber das ist eine andere Geschichte.

Beruhigend ist immerhin, dass keiner der aktuell Aufmerksammachenden (sic!) deswegen auf die Idee kommt, Menschen umzubringen oder Flugzeuge zu entführen, aber das kann ja noch kommen.

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Bemerkungen zum Krieg (5)

16.10.2022
Jetzt haben wir uns an den Krieg gewöhnt. Es ist erstaunlich, wie schnell das geht. Die Meldungen beherrschen nicht mehr die täglichen Schlagzeilen. Wir verfolgen die Entwicklung an der Front und die Bewegungen der Frontlinie mit einer gewissen, teilweise optimistischen Neugier. Doch Optimismus ist fehl am Platz.
Vielleicht wird es der Ukraine im Süden gelingen bis zum Winter die Russen hinter den Dnepr zurückzuschlagen. Und dann?
Der Dnepr ist bei Cherson 800 Meter breit, etwas oberhalb fast acht Kilometer. Wie will die Ukrainische Armee dieses Hindernis überwinden, nachdem sie selber nahezu alle Brücken zerstört hat, um die Russen von der Versorgung abzuschneiden? Wie will sie die Russen aus der Krim verjagen? Und selbst wenn das gelänge, kann Rußland jederzeit an anderer Stelle der sehr langen Grenze neue Angriffe starten. Das würde zu einem permanenten Kriegszustand, wie an der innerkoreanischen Grenze führen.

Auch wenn ich mir einen Sieg der Ukraine wünschen würde, nach derzeitigem Stand der Dinge können weder Rußland noch die Ukraine den Krieg militärisch für sich entscheiden.

Die nahezu unlösbare Aufgabe ist es also, diesen Krieg früher oder später zu beenden und ich hoffe, dass unsere Regierungen ihre geheimen Kanäle nutzen, um diesem Ziel näher zu kommen.
Leider werden wir erst in 20 oder 30 Jahren mehr darüber wissen, was hinter den Kulissen passiert. Jetzt ist das unmöglich und das ist gut so!

Siehe auch: Bemerkungen zum Krieg 4 – Peter K.