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Peter K. zu: Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral

Das Buch von Michael Tomasello ist eine Erweiterung zu ‚Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens‚. Es handelt sich um eine wissenschaftliche Analyse mit philosophischen Schlussfolgerungen. Man könnte es eine wissenschaftsbasierte Philosophie nennen. Beide Disziplinen umschlingen einander. T.s Überlegungen sind auf empirischen Erkenntnissen aufbauende Spekulationen, die plausibel, logisch und stringent eine der großen Fragen der Philosophie beantworten: Warum haben Menschen eine Moral und worauf zielt sie?

T. geht davon aus, dass die Moral dem Menschen einen evolutionären Vorteil verschafft haben muss, sonst hätte sich die Moral nicht durchgesetzt.

Die Frage ist also genauer: Welchen evolutionären Überlebensvorteil bietet die Moral?

Die Antwort ist so kurz wie einfach: Moral erlaubt dem Menschen die Kooperation und damit auch die Konfliktvermeidung und -regelung in der überlebensnotwendigen Zusammenarbeit mit Artgenossen.

T. unterscheidet zwischen der zweitpersonalen Moral, die Moral zwischen zwei gleichberechtigten (Früh)Menschen und einer »objektiven« Moral, die sich mit dem modernen Menschen entwickelte und mit der Kulturen entstanden.

Die zweitpersonale Moral bildete sich bei der gemeinsamen Jagd von Frühmenschen mit mehr oder wenig zufällig ausgewählten Partnern. Das Ergebnis der Jagd wurde gerecht geteilt, sofern der Partner sich fair verhielt, was dazu führte, dass durch die Selektion von fairen Kooperationspartnern eine immer größere Kooperationsbereitschaft entstand. Der Erfolg dieser Entwicklung führt zu immer stärkerer Arbeitsteilung und damit zu größeren Gruppen, was die Interdependenz der Menschen untereinander verstärkte. Ab einer Gruppengröße von ca. 150 Personen kann die zweitpersonale Moral auftretende Konflikte nicht mehr lösen. Deshalb entstehen Regeln, Institutionen, Hierarchien und Religionen, die sich im Ergebnis  zur »objektiven« Moral einer Kultur entwickelten. »Objektiv« nennt er diese Moral, weil sie für die Menschen, die in der jeweiligen Kultur aufwachsen und leben, als objektiv erscheint. Dies ist – extrem verkürzt – die Zusammenfassung des Buches.

Moralische Dilemmata entstehen dann, wenn Forderungen des Egoismus, der zweitpersonalen Moral und der »objektiven« Moral zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. Dann muss das Individuum  eine Entscheidungen treffen, die aus einer Perspektive moralisch richtig sein kann, aus einer anderen aber moralisch falsch ist.

Die Plausibilität und Stringenz dieses Buches rührt nicht nur daher, dass es sich auf vergleichende Verhaltensforschung von Menschaffen und Kleinkindern bezieht und zwischen beiden fundamentale Unterschiede feststellt, sondern seine Überlegungen erklären auch eine Unmenge von Alltagsphänomenen mit denen wir Heutigen konfrontiert sind. Das beginnt mit der Arbeitsteilung, der daraus resultierenden Komplexität von Gesellschaften und unserer Abhängigkeit voneinander. Es geht weiter über die »objektive« Moral, die jeder Kultur als die ‚natürliche‘ und ‚logische‘ erscheint und zu kulturellen Konflikten führt, es lässt uns die Ursachen für die Skepsis gegenüber Mitgliedern fremden Kulturen begreifen, ja selbst der Kulturkampf um Gendergerechtigkeit lässt sich vor diesem Hintergrund besser einordnen.

Vorsichtigerweise benutzt T. das Wort Gen oder Genetik nur an wenigen Stellen, trotzdem legen seine Ausführungen nahe, dass die evolutionäre Entwicklung sowohl Mechanismen der zweitpersonalen Moral, als auch der »objektiven« (kulturellen) Moral genetisch manifestiert haben müssen. Ohne es direkt zu formulieren, wird aus T.s Ausführungen deutlich, dass der Mensch in seiner Psyche und seiner Moral viel stärker evolutionären Mechanismen unterworfen ist, als die meisten Menschen das wahrhaben wollen.

Aus einer übergeordneten Perspektive gibt es zwei Dinge, die bei der Lektüre irritieren. Dabei handelt es sich nicht um inhaltliche, sondern um formale Aspekte.

Erstens ist die Sprache des Herrn T. ausgesprochen verschwurbelt. Es liegt wohl nicht an der Übersetzung, denn es scheint auch in der englischsprachigen Welt ein verbreiteter Kritikpunkt zu sein.

Zweitens kann Herr T. der Versuchung nicht widerstehen für das Thema, ein Art ,geschlossenes Weltbild‘ zu entwickeln. Es gibt – auf den ersten Blick – keine Widersprüche, alles erklärt sich logisch und inhärent innerhalb dieses – wohlgemerkt – auf empirischen Untersuchungen begründeten Systems. Das kennt man nur in der Philosophie – und bei Verschwörungstheorien.

Trotzdem, dieses Buch bietet eine Fülle an Anregungen, die aktuelle Konflikte und Probleme, sowohl auf politischer, als auch auf persönlicher Ebene besser verstehen lässt und ist – bei aller Komplexität und sprachlicher Herausforderung – unbedingt lesenswert. Wer die Mühe scheut, das ganze Buch zu lesen, findet hier eine ausführliche Zusammenfassung als Download.

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Herr K. und der Splitter

Die mehr oder weniger demonstrativ zur Schau gestellte moralische Überlegenheit der Menschen geht mir gehörig auf den Wecker,“ schimpfte ein Freund von Herrn K.. „Die einen fühlen sich überlegen, weil sie mit dem Fahrrad fahren, die anderen, weil sie sich auf Autobahnen festkleben und die dritten, weil sie kein Fleisch essen. Und am Schlimmsten sind die, die dann selbstgerecht mit dem Finger auf dich zeigen, wenn du zu MacDonald gehst. Jeder sieht den Splitter im Auge des anderen, aber alle schaffen es, locker den Balken im eigenen Auge zu übersehen. Krass.“

„Ja“, antwortete Herr K. „das geht mir genau so.“

„Aber“, fügte Herr K. nachdenklich hinzu, „wir sehen auch nur den Splitter im Auge des anderen.“

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