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Nuris Glaube (5)

Bisher erschien:
Nuri lächelt (1)
Nuri liest (2)
Nuri kämpft (3)
Nuris Wohnung (4)

Der Versuch von Herrn Petr sich dem Glauben von Nuri zu nähern, gleicht einer Seefahrt ohne Navigationsgeräte.

„Es stimmt nicht, was ihr sagt. Das steht nicht im Koran“, hat er wohl mutig seinem Vater und den Imamen um die Ohren gehauen, womit er sich kaum beliebt gemacht haben dürfte. „Der Koran rechtfertigt keine Regierung von Mullahs. Religion und Regierung sollten getrennt sein.“

Und immer wieder der Satz: „Sie lügen“, und er meint damit die Prediger.

Nuri geht hier nicht in eine Moschee. Er sucht den Kontakt mit Herrn Petr, dem atheistischen, schwulen Skeptiker.

„Ich habe Arabisch gelernt. Ich habe den Koran gelesen. Ich habe auch die Bibel gelesen und es gibt einen Gott, ja, aber nicht so, wie sie sagen.“

„Was macht dieser Gott?,“ fragt der Skeptiker.

„Er hat die Welt erschaffen. Er hat der Welt Gesetze gegeben. Die sollen wir befolgen.“

„Und wie sind diese Gesetze zu den Menschen gekommen?“

„Gott hat sie dem Propheten gesagt.“

„Aber du weißt Nuri, dass der Koran erst fünfzig oder achtzig Jahre nach dem Tod von Mohammed aufgeschrieben wurde. Hat da keiner in der Zwischenzeit etwas hinzugefügt oder weggelassen?“

„Nein, nein, das konnte nicht passieren, weil es Zeugen gibt. Es ist genau festgehalten, wer die Sätze des Propheten bezeugen kann und an wen die Sätze weitergegeben wurden. Das gilt für jede Sure über alle Stationen, bis der Koran niedergeschrieben wurde. Und es sind alles ehrenwerte Männer.“

„Zeugenaussagen gelten vor Gericht, als das unsicherste Beweismittel“, wirft der Skeptiker ein.

An dieser Stelle wirkt es, als würde Herr Petr ins Leere sprechen. Die Grenzen des Denkbaren sind erreicht.

Wo, so fragt sich der Mentor, sind eigentlich meine Grenzen des Denkbaren?

Bei einer späteren Begegnung legt eine unscheinbare Welle Nuris kulturellen Eisberg frei und Herr Petr erkennt für einen Moment dessen sonst unsichtbare Größe.

In irgendeinem Zusammenhang platzt es aus Nuri heraus: „Der zwölfte Mahdi wird kommen“, sagt Nuri mit der Sicherheit, die nur Gläubige haben, „das ist gewiss!“

Fasziniert sieht Herr Petr, bevor sich der größte Teil des Eisbergs wieder im Meer verbirgt.

Der zwölfte Mahdi, so wenig weiß Herr Petr, ist der Messias der Schiiten und er wird am Ende aller Zeiten kommen und zusammen mit Jesus ein Zeitalter der Gerechtigkeit einläuten.

Nuri wird nie wieder darüber sprechen.

Fortsetzung: Nuri und der Rechtsstaat (6)