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Bemerkungen zum Krieg (1)

Kriegsbeginn

Das Putin den Krieg beginnen musste, war klar. Wer 100 oder 150tausend Soldaten in Frontbereitschaft versetzt, braucht mindestens noch einmal so viele Soldaten, um die Logistik sicherzustellen. Insgesamt waren also mindestens 30% der russischen Armee (Personalstärke ca. 1 Mio. Mann) in den Aufmarsch involviert. Auch ein Alleinherrscher kann bei solchen Dimensionen keinen Rückzieher machen, ohne das Gesicht zu verlieren.

Merkwürdig

Diese Fernsehbilder von Putin und Macron bzw. Scholz sechs Meter auseinandersitzend, wirken surreal. Noch bizarrer waren die Bilder der inszenierten „Besprechung“ des russischen Sicherheitsrates. Ein abgehobener Alleinherrscher mit seinen Claqueuren, die alle weit entfernt sitzen, erinnern an die spanische Hofettikette des 18. Jahrhunderts. Putin wirkt entrückt.
Es wird erzählt, dass Merkel denkt, dieser Mann habe den Kontakt zur Realität verloren.
Wenn man diese Bilder sieht, kann man sich dieses Eindrucks nicht erwehren.

Scheitern

Putin will, wie Hitler, die Zeit zurückdrehen. Allein deshalb wird er scheitern. Hitler hat in völliger Selbstüberschätzung, seine Soldaten ohne Winterausrüstung nach Russland marschieren lassen. Putin lässt seine Soldaten ohne substanzielle wirtschaftliche Basis Rußlands in die Ukraine einmarschieren.
Er wird die Ukraine besiegen, das ist sicher.
Und dann?
Das weit größere Problem ist es, Frieden herzustellen. Da wird Putin scheitern. Wir haben es in Afghanistan und im Irak gesehen.

Die Zukunft Rußlands

Dieser Krieg scheint die wiedererstarke Macht Rußland zu symbolisieren. Merkwürdigerweise fällt mir in diesem Zusammenhang nur das berühmte Brecht Zitat ein:

„Das große Karthago führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr aufzufinden.“

Den kalten Krieg hat Rußland verloren, vor allem wegen seiner wirtschaftlichen Schwäche. Diesen Krieg wird es längerfristig auch verlieren, wegen seiner wirtschaftlichen Schwäche.

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Herr K. und das Reisen

Wer liebt es nicht zu Reisen? Wer möchte nicht einmal im Leben den Eifelturm besucht haben, wer geht nicht gern in den Louvre, um die Mona Lisa oder die Nike von Samothrake zu sehen? Wer bewundert nicht gerne die Grabbeigaben des Tutenchamun in Ägypten oder die beeindruckenden Ruinen von Pompeij? Wer möchte nicht gern im Kreuzgang des Mont Saint Michel sitzen und dem Kommen und Gehen des Meeres zusehen?

Nun, Menschen, die sich nicht für Kultur interessieren, brauchen nicht weiterlesen, denn ihnen bleibt vieles erspart. Die anderen kennen die Probleme.

Vor dem unvergesslichen Erlebnis stehen die Schlangen, die erste an der Kasse. Je nachdem kann das dauern, weshalb das praktische Zeitfensterticket erfunden wurde, mit dem Nachteil, dass der Museumsbesuch genau in die Zeit des Aufenthalts fällt, wo es gerade einmal nicht regnet oder man erschöpft von anderen Aktivitäten lieber ein kleines Schläfchen machen würde.

Hat man die Schlange am Ticketschalter überwunden, geht es zur Garderobe (Taschen größer als ein Nähkästchen sind nicht gestattet), schließlich steht man in die Schlange vor dem Eingang des Hochsicherheitsbereichs, wo man mehr oder weniger intensiv durchleuchtet wird, um sich schließlich durch heftiges Gedränge in den richtigen Gang zu schieben, bis man vor dem Allerheiligsten steht. Man versucht die Mona Lisa zu erfassen oder die Nike oder die Maske des Tutenchamun. Es gestaltet sich schwierig, weil irgendjemand immer im Weg steht oder ein anderer sein Handy über den Kopf hält, um das Foto zu machen, das Millionen andere auch schon gemacht haben.

Nun, und dann ist er da der magische Moment, man steht frei vor dem Heiligtum und kann endlich, endlich für ein paar Sekunden einen unverstellten Blick auf das Kunstwerk werfen, bevor einen unvermittelt eine chinesische Touristin von hinten an beiden Armen packt, beiseite schiebt, weil man ihr für das Selfie mit Mona Lisa im Weg steht.

Was würde der arme Walter Benjamin nur dazu sagen?

Genuss ist etwas anderes, aber immerhin kann man zu Hause erzählen: „Ich habe es gesehen“, so wie meine Großmutter tief bewegt nach Hause kam und uns berichtete, sie habe den Heiligen Rock in Trier gesehen.

Wahlweise kann die obige Erzählung abgewandelt werden. Versuchen sie mal im Hochsommer auf den Mont Saint Michel zu kommen. Zwanzigtausend andere versuchen es ebenso. Wenn sie es geschickt anstellen, brauchen sie nicht zu gehen, die Masse schiebt sie mit sich.

Was kann einem Besseres passieren?

Gut, es ist nicht Jedermanns Geschmack, kann ich verstehen. Meiner ist es auch nicht. Ruhe und Platz gehören zum Kulturgenuss. Aus diesem Grund haben wir einen anderen Weg gewählt: Wir reisen – nicht immer, aber immer öfter – antizyklisch. Das hat Nachteile, aber für uns überwiegen die Vorteile, denn wer sich darauf einlässt, kann außergewöhnliche Erfahrungen machen.

Waren sie schon einmal Anfang Dezember auf dem Mont Saint Michel?

Oder kurz vor Weihnachten in der Villa Ephrussi de Rothschild an der Cote d‘Azur?

Waren sie schon einmal in Ägypten und niemand, wirklich niemand stand vor der Totenmaske des Tutenchamun?

Waren sie schon einmal Ende Februar auf Capri oder in Neapel?

Wenn ich nun sage, dass das Momente meines Lebens gewesen sind, die mich zu Tränen gerührt haben, dann ist das nicht metaphorisch gemeint.

Wenn man Anfang Dezember, an einem kühlen, aber sonnigen Morgen den Mont Saint Michel betritt, den Weg hinauf zum Kloster einschlägt und seinen Obolus bezahlt hat, dann schreitet man allein, ganz allein durch die Kirche deren Bau, durch den hundertjährigen Krieg unterbrochen, spätromanische und hochgotische Teile miteinander verbindet und man geht von der Terrasse kommend, durch die schmale Tür erst ins Dunkle hin zum Licht des Chores und wenn man sich dann umwendet und das Glück hat, dass die Kirchentür offensteht, dann blickt man durch die leere Kirche hinaus in die Unendlichkeit des Meeres. Das ist ein magischer Augenblick. Der wird noch gesteigert, wenn man nur wenige Schritte weitergeht. Man kommt dann zum Kreuzgang und setzt sich, vielleicht 50 Meter über dem Watt, auf die steinerne Bank an der bodentiefe Öffnung des mit doppelten Säulenreihen geschmückten Ganges, um zu beobachten, wie das Meer sich langsam zurückzieht, bevor es, ein paar Stunden später zurückzukehren wird.

Wenn man das erlebt, dann sind die langsamen Schritte einzelner Besucher, die den Kreuzgang, beeindruckt von der kontemplativen Stimmung des Ortes entlangschreiten, so etwas wie das leise Rascheln von umgeschlagenen Buchseiten in einer Bibliothek.

Nicht viel anders ist es, wenn man an einem klaren Februartag auf Capri eine Wanderung macht. Ja, nur wenige Hotel haben bereits geöffnet, die Gucci-, Prada- und Luis Vuitton Läden sind geschlossen und kündigen den Frühling mit großen „Coming soon“ Plakaten in den Schaufenstern an, aber beim Spaziergang hinauf zu den Ruinen der Villa des Kaisers Tiberius, trifft man kaum einen Menschen und wenn man schließlich vor dem geschlossenen Eingangstor steht, muss man nur wenig suchen, dann geht gleich links ein kleiner Pfad um den Zaun herum und man kann das Gelände auch ohne Eintrittsgeld erkunden und sich an den spektakulären Ausblicken sattsehen.

Etwas mehr Mut bedarf es, wenn man das ägyptische Museum in Kairo mit nur wenigen Touristen teilen möchte. Uns gelang das in den 90ern. Damals gab es ein schweres Attentat in Ägypten, danach brachen dort die Touristenzahlen ein. Wir aber vertrauten auf eine Regel aus dem ersten Weltkrieg: Wenn man Schutz auf dem Schlachtfeld finden muss, dann werfe man sich in einen Granattrichter, selten, so die Erfahrung der Soldaten, wird eine Granate zweimal hintereinander am selben Ort einschlagen. Dasselbe vermuteten wir auch bei Attentaten in Ägypten. So kam es, dass wir im Schatzraum des Tutenchamun standen und sicher zwanzig Minuten die Schätze bewundern konnten, ohne dass uns jemand gestört hätte. Auch die Tempelanlagen von Karnak verbreiteten jene kontemplative Ruhe, die einem Tempel angemessen ist.

Gut, ich gebe zu, es ist nicht jedermanns Sache nach einem Attentat, ein Land zu bereisen, aber einen besseren Zeitpunkt, um die Kultur Ägyptens zu genießen, gab es nicht.

Aber auch wenn man nicht ganz so mutig ist, ist es nicht schwierig durch antizyklisches Reisen außerordentliche Besichtigungserlebnisse zu machen. Wissen sie, wann Anfang des 20. Jahrhunderts Saison an der Cote d’Azur war? Nein, nicht im Frühjahr und Sommer, wenn es unerträglich heiß wird, sondern im Herbst und Winter, wenn man den kälteren Regionen Europas entfliehen wollte und das milde Klima in Nizza und Umgebung genoss.

Wenn man also im Dezember zum Beispiel nach Nizza fährt, ist es wie eine Flucht vor den nasskalten, grauen Wintertagen in Berlin oder Frankfurt. Die Sonne lacht, die Temperaturen sind vorfrühlingshaft und ein gutes Mittagessen mit einem Glas Rosé auf dem Strand an der Promenade des Angelais beschert einen Glücksmoment des Lebens. Und wenn man dieses Glück noch ein wenig steigern will, dann nimmt man anschließend die Buslinie 15 und lässt sich vom Chauffeur bis zur Haltestelle Rothschild auf dem Cap Ferrat fahren, geht ein paar Meter bis zur Villa Ephrussie de Rothschild und besucht dieses Wunder der Gartenbaukunst. Nur wenige Besucher schlendern durch den Garten, der auf einem Bergrücken liegend auf beiden Seiten spektakuläre Küstenblicke freigibt und weil die Stimmung so intim ist, fällt es leicht, sich meditativ auf die choreografierten Wasserspiele der Brunnen einzulassen, wobei die tiefstehende Sonne den oberen Teil der Fontänen glitzern lässt. Mehr als drei Stunden verbringen wir in diesem Garten, den man selbst langsam gehend, bequem in 20 Minuten durchlaufen kann.

Den Möglichkeiten solche Erfahrungen zu machen, sind an der Cote d’Azur keine Grenzen gesetzt, aber in einem Punkt sind wir uns sicher: Im Frühjahr und Somme würden mehr Blumen blühen, es wäre 20 Grad wärmer, aber wir stünden schwitzend in langen Schlangen vor den Kassen und würden nach kurzer Zeit, genervt vom Trubel das nächste Highlight aufsuchen, immer in der Hoffnung, dort die Ruhe des Genusses zu finden.

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Herr K. und ein Wunder

Gestern war Herr K. zu einem Abendessen eingeladen. Mit am Tisch saß Deborah, eine amerikanische Freundin des Gastgebers und die erzählte eine Geschichte, die sich wie eine antike Tragödie mit Happy End anhört.

Deborah wuchs in einer typischen, amerikanischen Vorstadtfamilie in der Nähe von New York auf. Allerdings ganz so typisch war die Familie doch nicht, denn die Eltern hatten ihre drei Kinder, zwei Söhne und eben Deborah adoptiert.

Jason, der mittlere Sohn, war stets ein introvertiertes Kind gewesen, schweigsam, immer mit sich beschäftigt und schon früh an Musik und Poesie interessiert. Dieses Interesse wurde bei dem älter werdenden Jungen immer stärker. Mit 14 Jahren kreisten seine Gedanken ausschließlich um Musik und Poesie. Es war klar, Jason wollte Musiker werden.

Der Vater, ein anerkannter Arzt, war ein liebevoller und verantwortungsbewusster Vater und machte sich, wie alle Väter, Sorgen um die Zukunft seines Sohnes. Brotlose Musik war nicht, das was er sich für seinen Sohn erträumte und er versuchte Jason davon abzubringen und drängte ihn einen anderen Weg einzuschlagen. Jason wehrte sich gegen dieses Ansinnen, aber scheinbar um den Preis, dass er immer stärkere, psychische Probleme zeigte. Er litt unter schweren Depressionen, Selbstmordgedanken und unter schizophrenen Schüben.

Wie bei adoptierten Kinder üblich, kam auch bei Jason die Phase, als er mehr über seine leiblichen Eltern erfahren wollte, aber es gab keine Information, denn, soviel erfuhr er, man hatte ihn im Mai 1969 als Neugeborenen in einer Babyklappe eines Krankenhauses in New Jersey gefunden.

Jason wurde Musiker, aber er blieb eine fragile Persönlichkeit.

Viele Jahre später, Jason war bereits über vierzig, machten seine Adoptiveltern Ferien in Vermont und lasen in der New York Times den Leserbrief einer Frau, die zu einem Artikel über Babyklappen Stellung nahm. Die Autoren des Artikel hatten die These aufgestellt, dass Mütter, die Kinder an einer Babyklappe abgeben, großes emotionales Leid verspüren müssten. Diese Frau aber schrieb, dass sie, anders als behauptet, keine großes Leid gehabt habe, als sie ihren Sohn im Mai 1969 in einer Babyklappe eines Krankenhauses in New Jersey abgelegt habe. Im Gegenteil sie war froh über diese Möglichkeit, sie habe gute Gründe für diesen Schritt gehabt und sie glaube nach wie vor, dass es das Beste für das Kind gewesen sei.

Die Eltern von Jason waren elektrisiert, denn es war nahezu unmöglich, dass es keinen Zusammenhang zwischen Jason und dieser Leserbriefschreiberin gab. Die Eltern informierten Jason und es gelang Kontakt mit dieser Frau aufzunehmen, die sich tatsächlich als seine Mutter herausstellte. Natürlich wollte Jason seine Mutter kennenlernen, aber um den fragilen Jason nicht mit dieser schwierigen, hochemotionalen Situation alleine zu lassen, organisierten die Eltern ein Treffen mit ihnen selbst, der leiblichen Mutter und Jason.

Herr K. erfuhr nicht genau, wie dieses Treffen ablief, aber, so berichtete Deborah, als Jason leibliche Mutter erzählte, dass Jasons Erzeuger aus einer Musikerfamilie stammte, stammelte Jasons Vater entsetzt: „Und ich Idiot habe mein Leben lang versucht, Jason davon abzubringen, Musiker zu werden.“

Für Jason war das der Moment an dem nach langer Dunkelheit, endlich die Sonne durch die Wolken brach und ihm Licht und Wärme brachte.

Deborah berichtet, dass Jasons schizophrenen Schübe, Depressionen und Selbstmordgedanken von Stund an verschwunden waren.

Herrn K. kommentierte dies mit der Bemerkung: „Was einmal mehr zeigt: ‚Es gibt kein richtiges Leben im falschen‘.“[i]

[i] Theodor W. Adorno: Minima Moralia

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Herr K., die Menschen und die Natur

Herr K. geriet in eine Diskussion junger Leute. Mit Freude hörte er ihrem Enthusiasmus und ihren Überzeugungen zu. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand die Zerstörung der Natur durch den Menschen und alle waren sich einig, dass es daran läge, dass der Mensch nicht der Natur entsprechend lebe, ja, es wurde behauptet, dass der Mensch eine Fehlentwicklung der Natur sei.

Da warf Herr K. ein: „Die Natur ist stärker als der Mensch. Wenn der Mensch tatsächlich eine Fehlentwicklung der Natur ist, dann wird die Natur das korrigieren, es sei denn, der Mensch ist nicht Teil der Natur.“

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Herr K. und die Dummheit der Menschen

„Warum sind sie so unglücklich?“, wurde Herr K. von einer Schülerin gefragt.

„Ich bin unglücklich, weil die Menschen so dumm sind“, antwortete er.

„Aber es gibt auch kluge Menschen“, versuchte die Fragende ihn ein wenig zu entkräften, „und sie sind sicher einer davon.“

„Bin ich etwa kein Mensch?“, fragte Herr K. erstaunt.

P.S. Vielleicht fällt Euch jemand ein, dem diese Geschichte auch gefallen würde. Dann schreibt dem- oder derjenigen doch eine kurze Mail mit dem Link.
Danke!
Euer Peter K.

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Herr K. und die Demokratie

Eines Tages ging Herr K. in eine Eckkneipe, trat an die Theke und bestellte ein Bier. Der Gast neben ihm verwickelte ihn in ein Gespräch und kam nach kurzer Zeit auf die Politik zu sprechen. Für gewöhnlich vermied Herr K. politische Gespräche, aber er wollte nicht unhöflich sein. Der Mann schimpfte wie ein Rohrspatz über Politiker, die dumm seien, keine Ahnung hätten und sich nicht trauen würden, einmal hart durchzugreifen. „Das Schlimmste aber ist“, so seine Worte, „dass es ihnen immer nur um ihre eigene Macht geht.“

An dieser Stelle holte Herr K. tief Luft, um zu signalisieren, dass er etwa sagen wolle. Der Redner, wohl auf Zustimmung hoffend, machte eine erwartungsvolle Pause, worauf Herr K. sagte: „Macht ist und war immer verführerisch, genau aus diesem Grund wurde die Demokratie erfunden.“

P.S. Vielleicht fällt Euch jemand ein, dem diese Geschichte auch gefallen würde. Dann schreibt dem- oder derjenigen doch eine kurze Mail mit dem Link.
Danke! Euer Peter K.

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Herr K. und die Angst

Herr K. traf eine Freundin, die einen bedrückten Eindruck machte. Auf die Frage, was los sei, erzählte sie, dass die Arbeit in der Klinik sie sehr belastet. Es gäbe nicht genügend Personal, daher müsse sie mehr als 60 Stunden die Woche arbeiten. Dazu kämen Rufbereitschaften als leitende Oberärztin, die dazu führten, dass sie sich am Wochenende nicht erholen könne. Das Privatleben würde unter dieser Situation zunehmend leiden. Manchmal sei sie verzweifelt.

Auf die Frage von Herrn K. warum sie sich nicht eine andere Arbeit suche, meinte sie: „Davor habe ich Angst.“

Herr K. schwieg eine Weile nachdenklich und entgegnete dann:
„Wo die Angst ist, ist die Tür.“

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Eine merkwürdige Begebenheit

Sie hat einen Mann aus Albanien geheiratet.
War das eine Aufregung! Schockierte Eltern.
Albaner? Verbrecher!
Heute ist das anders. Es ist der liebste Schwiegersohn.
Sie hat albanisch gelernt. Bei den Schwiegereltern. Auf dem Dorf. In Albanien.
Bitterste Armut.
Der Sohn und seine Frau haben ein schönes Haus.
In Deutschland.

Die Schwiegereltern kommen zu Besuch.
Während des Frühstücks, nimmt der Schwiegervater Kaffeetasse und Stuhl und setzt sich vor die Haustür.
Sie wundert sich. Sie fragt: „Vater, was machst Du da?“
Er: „Ich warte auf die Müllabfuhr.“
Sie, verwirrt: „Warum wartest Du auf die Müllabfuhr?“
Er: „Du hast gesagt, dass um 10 Uhr die Müllabfuhr kommt, und ich will wissen, ob das wahr ist.“

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Der alte, weiße Mann und die Hippster

Ich bin ein alter, weißer Mann und lebe in Berlin. Berlin gilt international als hippste Stadt der Welt, wobei ich sagen muss, dass wir zwar in Berlin, aber in einem Stadtteil leben, bei dem die Einwohner das Wort ‚hipp‘ nur als Marke für Babynahrung oder aus dem Sprachgebrauch ihren pubertierenden Enkelkindern kennen. Mit anderen Worten: Wir leben in einem wohlsituierten, ruhigen, freundlichen und unaufgeregten Kiez, der mit zwei U-Bahnlinien gesegnet, am Rand der sogenannten Innenstadt liegt, nicht zentral, aber auch nicht am Ursch der Welt.

Weil unsere Wohnung renoviert wird, müssen wir für mehr als drei Wochen ins Exil und finden eine Bleibe in Mitte. Ich rede nicht vom Bezirk Mitte, wo es in Moabit, Wedding oder Tiergarten ähnlich verschnarchte Stadtteile gibt, wie den unsrigen. Nein, ich rede von richtig Mitte, Mitten in Mitte sozusagen. Rosenthaler Platz. Mehr Mitte geht nicht.

Nach drei Wochen Aufenthalt kann ich jetzt erklären, was ‚hipp‘ bedeutet.

Fangen wir mit dem Positiven an. Es ist wunderbar morgens aus dem Haus zu gehen und direkt ins nächste Café zu fallen, wo einem ein exzellenter Cappuccino zubereitet wird. Zwar steht man sich bei der Bestellung gelegentlich die Beine in den Bauch, weil zwei Hippster vor einem darüber beraten müssen, ob sie den Cappuccino lieber mit Mandel- oder mit Hafermilch trinken wollen und ob die angebotenen Croissants ohne Butter zubereitet sind und sie die tatsächlich essen dürfen, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich ein alter weißer Mann bin und die altmodische Vorstellung habe, dass einem der Kaffee am Tisch serviert wird. Als Entschädigung für die lange Wartezeit wird man mit dem Anblick vieler junger, attraktiver Menschen belohnt und ich meine das überhaupt nicht sexistisch, es ist nur so ein krasser Gegensatz zu unserem Kiez und zudem ist es außerdem beruhigend, wenn ich an meine zukünftige Rente denke.

Nachdem ich also lange stehend auf die Bestellung und Zubereitung des Kaffees gewartet habe und mir ein Kopfschütteln einhandelte, weil ich um Zucker für den Kaffee gebeten habe, macht es Spaß dort zu sitzen und das blühende Leben an sich vorbeiziehen zu lassen. Es ist besser als jedes Fernsehprogramm. Man sieht schöne Menschen und weniger schöne, dicke und dünne, große und kleine, gepflegte und ungepflegte, aber alle, ausnahmslos alle strotzen vor Selbstbewusstsein. Sie sind sich sicher, dass ihnen die Zukunft gehört. Sie strahlen ungeheure Kraft und Energie aus und wollen die Welt verändern. Das die Veränderung vermutlich anders ausgehen wird, als sie heute erwarten, ist eine Erfahrung, die ich als alter, weißer Mann schon hinter mir habe.

Nach einer Weile stehe ich auf, schlendere durch die Straßen und komme aus dem Staunen nicht heraus. Ich wusste gar nicht, was es alles für ‚hippe‘ Sachen gibt. Ein schicker Laden reiht sich an den Nächsten. Feinste Modegeschäfte findet sich neben Galerien, Einrichtungsaccessoires findet man neben dem Hutgeschäft und der Laden für Sneakers (althochdeutsch: Turnschuh) liegt neben dem Laden der teuren Billigschnickschnack verkauft.

Apropos Sneaker, in einem solchen Geschäft erfahre ich Dinge über Turnschuhe, die ich bis dahin nicht wusste. Ich habe den jungen Verkäufer offen gesagt, nicht wirklich verstanden als er mit den vielen Fremdwörtern um sich warf, ich habe aber gelernt, dass ein Turnschuh nicht zum Laufen gedacht ist, sondern als Kapitalanlage. Im Ernst! Er erklärt, dass manche Schuhe schon nach kurze Zeit im Internet zu weitaus höheren Preisen gehandelt werden. Wichtig sei aber, dass die Schuhe nicht getragen sind und dass der Karton, sowie das Einwickelpapier(!) unbeschädigt sei. Das erinnert irgendwie an die Tulpenzwiebelkrise im 17. Jahrhundert. Wie dem auch sei, dieses Mal ist sicher alles anders, denn dann verrät der Verkäufer mir ein Geheimnis. Er klingt dabei so, wie früher in der DDR, wenn die Verkäufer ‚Bückware‘ aus dem Versteck hervorholten und hinter vorgehaltener Hand flüsterten: ‘Ich habe hier noch etwas Besonderes für Sie.‘ Das Besondere in diesem Fall: ein Turnschuh, von dem jeder Laden nur 15 Exemplare bekommt. Ganz exklusiv und streng limitiert. „Der steigt im Wert sicher sehr bald“, meint er.

Tatsächlich gefällt mir der Schuh gut und trägt sich auch ein wenig besser, als die gewöhnlichen, unlimitierten Sneaker, also entscheide ich mich für den Kauf. Als ich meine, ich würde die Schuhe direkt anlassen und er solle die alten einpacken, bekommt er einen entsetzten Gesichtsausdruck und stottert: „Aber draußen regnet es!“

Bei mir stellt sich ein Gefühl ein, als wäre ich als alter weißer Mann auf der Mädchentoilette eines Gymnasiums erwischt worden, entschuldige mich beschämt und lasse mir die neuen Schuhe einpacken.

Ich laufe weiter und mir fällt ein, dass ich noch ein paar Lebensmittel brauche. Naiv, wie ich bin, denke ich, dass sicher gleich ein Lebensmittelgeschäft auftauchen wird. Nachdem ich aber mehrere gefühlte Kilometer später immer noch keines gefunden hatte, frage ich eine einheimische Passantin. Sie erklärt mir, dass es da einen Rewe am Hackeschen Markt gebe. Ich laufe und laufe und finde ihn nicht, weil er nicht am Hackeschen Markt, sondern auf der anderen Seite der S-Bahn liegt, was nicht mehr Hackescher Markt ist. Aber gut.

Der Laden ist gedrängt voll und überraschend klein. Vermutlich brauchen die vielen jungen Leute, die hier wohnen, keine Lebensmittel einkaufen, denn es gibt wirklich massenweise Restaurants und Cafés, wobei sich manchem vielleicht die Frage stellt, wie sich die jungen Leute während des Corona-Lockdowns ernährt haben. Die Antwort ist einfach und fällt in Berlins Mitte-Mitte sofort ins Auge. Es gibt unendlich viele Fahrradboten für Essen auf Rädern. Gelegentlich stehen diese Boten von Wolt oder Lieferando oder Uber-Eats Schlange vor den Restaurants und auffallend ist, dass es sich beim größten Teil diesen Boten um Geflüchtete zu handeln scheint. Ich bewundere den Fleiß und die Energie dieser Menschen, die von einem besseren Leben träumen und die den vielen jungen, hippen Essensbestellern das Leben bequem machen, aber es riecht für meinen Geschmack unglaublich nach Ausbeutung. Vielleicht sollte man darauf mal aufmerksam machen.

Die Fahrräder der vermuteten Essensboten sind übrigens meistens Swapfiets, das sind Fährräder mit blauen Vorderreifen. Die sieht man massenhaft in Mitte-Mitte. Man kauft sich heute kein Fahrrad mehr wie ….sie wissen schon….sondern mietet es sich. Also nicht stundenweise, wie ich das auch gelegentlich mache, sondern monatsweise oder für ein Jahr. Wenn das Fahrrad einen Platten hat oder gestohlen wird, dann bekommt man noch am selben Tag ein anderes identisches Fahrrad in die Hand gedrückt. Praktisch. Besitz ist einfach lästig, außer bei Klamotten natürlich, die braucht man schließlich für Abends.

Abends ist es am Schönsten in Berlins Mitte-Mitte. Am Rosenthaler Platz endet unter anderem der Weinbergweg, die Verlängerung der berühmten Kastanienallee und das ist, man kann es nicht anders sagen, ein Laufsteg der Eitelkeiten.

Alle sind aufgebrezelt. Junge Männer tragen Jogginghosen, zerrissene oder unzerrissene Jeans, bonbonfarbene Anzüge oder Wickelröcke. Viele tragen das, was sie für einen Vollbart halten.

Frauen tragen Kleider, Röcke, Hosen, sind mehr oder weniger geschminkt und tragen auffallend wenig Schmuck, weil der, bei soviel Attraktivität der Person, nicht nötig ist. Jeder Zweite ist tätowiert, womit auch die Frauen gemeint sind, aber die gendergerechte Form von ‚jeder‘ ist mir nicht bekannt. Aus der Masse der Tattoos auf Armen, Beinen, Rücken, Schultern oder zunehmend auch Händen, Hälsen und Gesichtern ragt ein Exemplar besonders hervor: ein kahlrasierter, junger Mann hat sich, vielleicht in weiser Voraussicht, eine einzelne Haarsträhne auf den vorderen Kopfteil tätowieren lassen. Noch wirkt das witzig.

Vor zirka dreißig Jahren hat diese Tattoo-Epidemie begonnen, hat sich immer weiter ausgebreitet und ist zu mehr und mehr Scheußlichkeit mutiert. Insofern hat es Ähnlichkeit mit dem Corona Virus, nur dass es dagegen keine Impfung gibt und wenn es sie gäbe, ist es die Frage ob die Stiko eine Impfung für unter 20 Jährige empfehlen würde. Gut, ich will mich nicht dauernd wiederholen, aber hoffe trotzdem, dass diese Mode, wie jede andere Mode eines Tages verschwinden wird.

Wir suchen ein Restaurant, fragen nach einem Tisch und unsere Frage wird uns selbstverständlich auf Englisch beantwortet. Immerhin hat die Kellnerin die deutsch gestellte Frage verstanden! Gut, dass wir, vice versa, des Englischen einigermaßen mächtig sind, so dass wir uns setzen und das Treiben beobachten können. Neben uns sitzt ein junges Pärchen im Krisenmodus. Sie weint. Hinter uns zwei attraktive junge Frauen, die sich über vegane Ernährung unterhalten und nach kurzer Zeit mit zwei jungen Männern am Nachbartisch ins Gespräch kommen. Ein paar Tische weiter sitzt eine italienische Touristenfamilie, die das Leben auf Berlins Straßen bestaunen, wie wir, wenn wir Abends auf einer italienischen Piazza sitzen. Vor uns radelt alle 30 Sekunden ein Wolt oder Lieferandobote vorbei und das geht stundenlang so. Nach zwei Stunden sind wir erschöpft und gehen zu unserer Schlafstätte. In unserem Alter wird man gegen 23 Uhr müde, während das Publikum hier gerade erst aufwacht. Es ist Wochenende, kein Wunder. Wir schlafen ein. Um halb zwei werden wir von lauter Partymusik wach. Da alle Clubs geschlossen sind, hat man die Party kurzerhand ins Hinterhaus verlegt. Die Musik ist so laut, dass wir uns entschließen aufzustehen und durch die Stadt zu laufen. Es ist immer noch voll auf den Straßen, überall wird Bier getrunken. Flaschenscherben knirschen unter unseren Füßen. Ein Betrunkener läuft laut grölend an uns vorbei, er schafft es locker die vollbesetzte, vorbeifahrende Straßenbahn zu übertönen. Ein Flaschensammler macht um diese Uhrzeit das Geschäft seines Lebens, er hat sich einen großen Einkaufswagen organisiert und sammelt hunderte von leeren, liegengebliebenen Pfandflaschen ein. Als wir um vier Uhr zu unserer Schlafstätte zurückkehren, steht ein Mann im Hauseingang und pinkelt, irgendwo muss das Bier schließlich hin.

Die Musik hat aufgehört. Wir können schlafen.

Wir freuen uns darauf, wieder in unseren spießigen Kiez zurückzukehren, den mit lauter alten …. Ach, sie wissen schon.

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Sonnenuntergang

 Gestern waren wir eingeladen 
 Auf einem privaten Empfang.
 Allerbeste Lage.
 Ein riesiges Wohnzimmer,
 feinste Designermöbel. 
 Am Fenster ein Steinway,
 ein Kandinsky an der Wand.
  
 Grüppchen verteilen sich im Raum
 man unterhält sich gepflegt. 
 Alles feine Leute. 
 Gebildet. 
 Klug. 
 Freundlich. 
 Eine angenehme Gesellschaft. 
  
 Auf silbernen Tabletts
 werden Häppchen gereicht.
 Delikat.
 Man lobt den Champagner.
 Diese Frische!
 Dieses Bouquet!
  
 Vor dem Fenster inszeniert die Sonne ihren Untergang. 

Ein anderes, heiteres Gedicht: Der Zweifelteufel